Dr. Min-Sung Kim (er/ihm)
Diversität führt zu einer höheren Innovationskraft und dies wiederum erhöht unseren Wirtschaftswohlstand.
Ich bin Min-Sung Kim. Ich habe unter anderem für die AllianzX und Samsung Catalyst Fund investiert und bin heute Managing Partner und Investor bei einem Venture Capital Fonds und Mitgründer von 2hearts – einer Community für Menschen mit Migrationshintergrund im Digitalbereich, die sich gegenseitig mit Netzwerk, Im Bereich Mentoring und Karriere helfen.
Ich bin mit koreanischen Wurzeln in Hamburg aufgewachsen. Meine Mutter hat mich sehr stark geprägt. Sie hat mir während der Schulzeit immer gesagt, dass ich mich mehr anstrengen muss als der “typische Deutsche”. Das ist etwas, das ich eigentlich von den meisten Mitgliedern von 2hearts höre! Hatte ich zum Beispiel einen durchschnittlichen Schnitt im Zeugnis, fand ich das auch ganz gut. Meine Mutter aber meinte dann immer: Nein, das ist nicht gut genug. Wenn sich zwei Leute in Deutschland mit der gleichen Note bewerben, werden sie den “Deutschen” nehmen. Du musst immer viel besser sein als die Deutschen, damit du eine Chance hast.
Eine wichtige Sache wäre auf jeden Fall die Zuwanderung zu erleichtern. Ich habe schon von so vielen qualifizierten Leuten gehört, die kein Visum erhalten haben oder zurückgeschickt wurden – obwohl sie einen Job hatten. Ich würde mir einfach wünschen, dass alle Menschen in unserem Verwaltungsapparat verstehen, dass wir qualifizierte Fachkräfte aus dem Ausland benötigen, denn sie können Mehrwerte schaffen. Das neue Einwanderungsgesetz ist auf jeden Fall ein richtiger Schritt, um in Bewegung zu kommen und sich an die neuen globalen Herausforderungen anzupassen.
Ich will hier keine Opferhaltung einnehmen. Meine Prägung und Erziehung haben mir ein starkes Leistungsdenken und damit viele Chancen ermöglicht, so dass ich heute sehr privilegiert bin. Dennoch schwang eben die Herkunft einfach immer mit in der Erziehung, das Thema Schwarzfahren zum Beispiel war absolut tabu. Meine Mutter hat immer gesagt: Wenn ein Deutscher mal vergisst eine Karte zu kaufen, dann ist es egal, aber wenn es ein Ausländer macht, dann heißt es gleich wieder: ‘War ja klar, so sind sie, die Ausländer’.
Ja, das stimmt, aber es geht ja immer um die Wahrnehmung. In der Wahrnehmung war ich eigentlich immer ein Ausländer, auch wenn ich natürlich Deutscher bin.
Ja, absolut. In der deutschen Uni habe ich mich zwar immer fremd gefühlt, aber es gab auch viele Annahmen auf Basis meines Aussehens, zum Beispiel dass ich automatisch gut in Mathe und IT bin. So wurde ich bei einem Talentprogramm in Projektgruppen gerne mit anderen asiatisch aussehenden Kandidat*innen zusammengebracht, um Aufgaben aus dem Bereich Technik/ Informatik zu lösen. Auch Stipendien erhielt ich teilweise, glaube ich zumindest, einfacher, da ich als asiatisch-stämmiger Deutscher an einer deutschen Universität die Diversität erhöhte.
Mir wurden also häufig auch positive Attribute zugesagt, die ich gar nicht unbedingt erfülle, also Vorurteile funktionieren in beide Richtungen, es gibt auch positive Diskriminierung. Ob mir das letztendlich geholfen hat, kann ich ehrlicherweise nicht genau sagen.
Die üblichen Fragen und Kommentare, die eigentlich ständig kommen und die mir früher gar nicht so aufgefallen sind: dass mein Name immer falsch geschrieben wird, Frau statt Herr Kim in Briefen steht. Die Frage danach, wo ich denn so gut deutsch gelernt hätte, woher ich eigentlich komme (Hamburg) und so weiter.
Man steht einfach ständig zwischen den Stühlen. Ich fühlte mich nie ganz als “richtiger Deutscher”. Wenn ich in Korea bin, wissen die Koreaner andersherum sofort, dass ich keiner von ihnen bin. Wenn ich spreche, habe ich einen Akzent – ich falle dort einfach auf. Das hat dann letzten Endes dazu geführt, dass ich mich überall stark angepasst habe. Dieses Zwischen-den-Stühlen-Stehen ist eines der häufigsten Themen von Menschen mit Migrationshintergrund. Daher ist auch meine Arbeit bei 2hearts, das ich zusammen mit Iskender Dirik, Gülsah Wilke und Oktay Erciyaz gegründet habe, so unfassbar ermutigend: Wir haben hier eine Community von mittlerweile mehr als 2000 Menschen, denen es allen ähnlich ging. Der Moment, in dem man begreift, man ist nicht alleine, es liegt nicht an mir, sondern es ist ein systemisches Thema, ist sehr befreiend und ermutigend.
Fachkräfte aus dem Ausland, die hier Anschluss suchen (1. Generation) und Deutsche mit Migrationshintergrund, die hier leben und arbeiten und hoch ambitioniert sind. Viele teilen eine ähnliche Geschichte, doch es gibt natürlich sehr starke Unterschiede in den Vorurteilen und Zuschreibungen zwischen asiatisch-stämmigen Deutschen, Türkisch- oder Arabischstämmigen und People of Color. Hier gibt es je nach Herkunftsland und Religion nochmal deutliche Unterschiede, was die Schwere und Häufigkeit von Diskriminierungen angeht. Bei manchen Teilnehmer*innen (und wir sprechen hier bei 2hearts ausschließlich von Akademiker*innen) grenzt es fast schon an ein Wunder, dass sie sich bis zum Abitur oder Studium durchgeboxt haben.
Fast immer gab es ein Role Model, eine Person, die an sie geglaubt hat und nicht das immer gleiche Narrativ von ‘Du wirst sowieso nichts, du wirst eh nur Kinder bekommen oder du kannst maximal an die Hauptschule wechseln’ nicht wiederholt hat, sondern sie ermutigt und in ihren Stärken gestärkt hat. Das genau ist ja eben auch das Modell von 2hearts.
Wir bringen junge ambitionierte Menschen mit Mentor*innen aus über 150 Nationen zusammen, um ihnen Zugang zu Chancen zu ermöglichen. Das macht den ganzen Unterschied: Wenn ich hier bereits eine Karriere und ein Netzwerk aufgebaut habe, dann habe ich Zugang: Zugang zu Praktikumsplätzen, zu Kapital, zu Wissen über Karrierechancen, ein Verständnis davon, was gute Schulen, Universitäten sind usw. Menschen aus sozioökonomisch schwächeren Bereichen ohne akademische Vorerfahrung und/oder eben Familien mit Migrationshintergrund haben genau diesen Zugang nicht. Das heißt, sie müssen eine sehr harte Lernkurve hinlegen und haben einfach nicht die gleichen Chancen.
Wir haben mit den Akademiker*innen begonnen, um eine Kultur von Allyship und gegenseitigem Helfen zu etablieren und diese Erfolgsgeschichten zu produzieren, um dann im nächsten Schritt auch Menschen mit anderen biografischen Hintergründen aufzunehmen und zu unterstützen. Wir haben bei 2hearts sehr viele ambitionierte Menschen, die gerne ihren Beitrag leisten möchten.
Wir brauchen Diversität, um zu überleben. Biologisch gesehen, aber auch mit Blick auf die Geschichte von Nationen bedeutet zu viel Monotonie und Homogenität schlicht: Aussterben. Aber Diversität bedeutet auch insgesamt eine höhere Financial Performance, ein höheres Bruttoinlandsprodukt (BIP), durch den hohen Grad an technologischen Innovationen, die eine diverse Gesellschaft hervorbringt. Gleichzeitig bedeutet Diversität einen höheren Kommunikationsaufwand, da verschiedene Gruppen nicht mit einer homogenen Nachricht abgeholt werden können.
Wir haben heute so viele globale Herausforderungen, die Klimakrise oder die Digitalisierung zum Beispiel. Wie können wir die nötigen Innovationen dafür sicherstellen? Wie bekommen wir überhaupt die Talente, die diese Innovationen entwickeln können? Hier kann nur ein globales, internationales, diverses Mindset helfen. Alle Systeme und Gesellschaften, die zu sehr im eigenen Saft kochen und zu homogen sind, sterben irgendwann aus. Das ist auch biologisch irgendwie nachvollziehbar, es braucht Diversität, um zu überleben. Auch wenn man z.B. Autokratien mit Demokratien vergleicht, so sind Demokratien innovativer, da sie per Definition diverse Standpunkte und Meinungen zulassen. Wir müssen lernen, das in unser Denken zu integrieren, denn Diversität führt zu einer höheren Innovationskraft und dies wiederum erhöht auch das BIP, weil Innovationen Wirtschaftsprozesse effizienter bzw. effektiver machen.
Ja, absolut, ich bin Deutscher. Aber ich fahre dennoch keine Regionalbahn im Osten. Ich glaube, die Diskussion über No-Go-Areas ist leider nicht zu Ende und sollte weitergeführt werden.
Komischerweise habe ich mir diese Frage noch nicht gestellt, durch mein Aussehen hatte ich immer sowohl Vor- als auch Nachteile. Viel wichtiger finde ich die Frage, wie wir „Heimat“ verstehen – als eine Gemeinschaft von Menschen, die sich optisch ähnlich sehen oder als eine Gemeinschaft von Menschen, die für bestimmte Werte einstehen.