Yared Dibaba (er/ihm)
Mein Prinzip ist es: Lust auf Vielfalt zu machen, das ist eine Herzenssache. Lust spielt immer eine große Rolle, beim Essen, bei Sport oder der Sexualität. Wenn wir keine Lust haben, funktioniert es schwer.
Das ist tatsächlich gar nicht so einfach zu beantworten. Ich bin in Oromia in Äthiopien geboren und habe seitdem ein vielfältiges Leben in drei Ländern gelebt, bin mit fünf verschieden Sprachen und vielen Religionen, Kulturen und Mentalitäten aufgewachsen.
Mittlerweile lebe ich in Norddeutschland, und bin beruflich Entertainer, Schauspieler, Moderator, Sänger, Autor und Diversity-Trainer. Ich sehe mich als Weltenbürger und Brückenbauer.
Ich würde viel mehr Wissen zum Thema vermitteln. Es gibt so viele Mythen und Glaubenssätze, und mehr Wissen zum Thema würde sehr helfen die Ängste und Sorgen zu nehmen. Gerade im Moment sind aber die Besorgten sehr laut, dabei sollten die Menschen, die Vielfalt feiern viel lauter sein! Ich glaube, dass eher der größere Teil von uns Ausgrenzung und Diskriminierung erfahren hat. Das Gefühl nicht dazu zu gehören, haben viele schon bewusst oder unbewusst erlebt. Und wir sollten daraus die Möglichkeit bauen, so viele Menschen wie möglich teilhaben zu lassen, Zugänge zu schaffen und Barrieren abzubauen.
Beides, ich hatte schon zwei, drei sehr aufschlussreiche Momente, aber davor gab es durchaus einen Prozess. Man kann es sich vielleicht so vorstellen, als würde dir ständig jemand neue Bälle zu werfen, und du versuchst, sie alle in der Luft zu halten. Am Anfang ist es noch schwer einzuordnen: Welchen Ball fange ich, welchen lasse ich fallen – aber dann kommt eben der Moment, wo du feststellst: Hey, ich kann das tatsächlich ganz gut, und wenn mal ein Ball runterfällt – oder auch mal alle zeitgleich: Kein Problem, ich werfe sie einfach wieder hoch. Irgendwann hast du eine gewisse Routine entwickelt und die Bälle bleiben fast wie von selbst in der Luft.
Ich erinnere mich an einen Moment, als ich meine Großmutter nach 15 Jahren, sozusagen nach dem Erwachsenwerden wieder besucht habe in meiner Heimat. Da hatte ich das Gefühl, ich sitze endlich nicht mehr zwischen zwei Stühlen und mehreren Kulturen, sondern auf zwei Stühlen. Und dass ich das große Glück habe, aus unterschiedlichen Kulturen schöpfen zu können. Dann konnte ich auch meine neue Heimat, dem Norden Deutschlands, endlich ganz anders annehmen.
Ja. Diese Zerrissenheit erleben viele Menschen, die eine internationale Geschichte haben und sich von der einen Community in die andere bewegen. Das hört sich jetzt vielleicht trivial an, aber das macht etwas mit einem und bringt viele Konflikte mit sich. Die Communities unterstützen dieses Hin- und Her-Wandern nicht, sie sind nicht inklusiv. Das meine ich ganz ohne jeden Vorwurf, denn das muss ja auch gelernt sein, dafür muss es Strukturen geben. Dazu kommt: Es war ja kein selbstbestimmter Prozess. Ich bin mit meinen Eltern vor einem Bürgerkrieg hier her geflohen – und bin sehr dankbar, dass ich mit meinen Eltern hier in Frieden und Sicherheit leben konnte und ein neues Leben aufbauen.
Ja, den gab es. Ich wurde immer wieder gefragt: Was bist du denn jetzt eigentlich? Bist du Schauspieler, bist du Moderator, bist du Sänger? Bist du Norddeutscher, bist du Schwarzer, bist du Oromo?
Ja, genau, und ich wollte da nicht rein – zumindest nicht in eine vorgefertigte, wenn schon eine maßgeschneiderte. Und so habe ich eines Tages einfach angefangen zu sagen: Es ist, wie es ist. Das ist ja nicht nur bei mir so. Wir alle haben doch unterschiedliche Rollen und Facetten, Eigenschaften und Identitäten. Bei manchen connecten wir, bei vielen unterscheiden wir uns. Und das ist ja genau das Spannende.
Ich für mich habe den Zugang gefunden, als ich begonnen habe, mich theoretisch mit dem Begriff zu befassen. Wir alle erleben zwar Diversität, können es aber oft nicht benennen bis wir uns klar machen, was es bedeutet. Für mich eben: Vater, Mensch mit Fluchterfahrung, Deutscher und so weiter. Ich für mich empfinde es bestärkend mit Menschen zusammen zu sein, die anders sind als ich. Die andere Perspektiven mit sich bringen – die ich nicht immer gut finden muss. Mich hat es aber in vielerlei Hinsicht gelassener und resilienter gemacht – gerade in Konfliktsituationen sagen zu können: Wir sind unterschiedlich und lösen Herausforderungen anders.
Auf jeden Fall gibt es Momente, in denen ich überfordert bin, an meine Grenzen gerate und verzweifelt bin. Aber ich habe gelernt, die Dinge konkret zu benennen, eine präzise Sprache zu entwickeln und zu adressieren. Nur dann können wir ein Problem lösen.
Ja genau, ich erlebe oft Menschen, die mit dem Thema Diversität überfordert sind, einfach weil sie nicht aufgeklärt sind. Diversität hatten wir schon immer und überall.
Ich glaube ja. Wir haben mehr Wissen. Die Menschen sind bewusster, achten darauf, sich anders auszudrücken. Und auch wenn sich nach wie vor manche weigern, inklusiver zu sprechen, ist das ja grundsätzlich erstmal in Ordnung, solange wir uns alle an die Spielregeln der Menschenrechte und Menschenwürde halten.
Ja. Zugänge ist genau das richtige Wort. Zuhören und Teilhabe sind sehr wichtig. Wir grenzen oft schon durch Sprache aus, bewusst und unbewusst. Und Kuddelmuddel ist einfach ein sympathisches Wort und zaubert vielen Menschen direkt ein Lächeln ist Gesicht, wenn ich es zum Beispiel in meinem Bühnenprogramm verwende.
Ja, auf jeden Fall. Auf Plattdeutsch heißt das Tuhus, also zuhause, finde ich tatsächlich sogar schöner als das Wort Heimat. Ich verbinde mit beiden Regionen sehr viel. Natürlich ist Oromia sehr stark präsent, weil ich da auf die Welt gekommen bin und die ersten Jahre dort gelebt habe. Aber mittlerweile leben ich 45 Jahre im Norden, meine Kinder sind hier auf die Welt gekommen, mein Vater hier beerdigt. Ich habe auch sehr tiefe emotionale Wurzeln hier.
Diversität ist ja nicht nur ein Business-Case, sondern auch ein Human-Case. Diversität ist ein Katalysator für Unternehmen, ein Enabler, macht vieles möglich, wenn Unternehmen Diversity-Management einführen. Auf der anderen Seite ist ein diskriminierungsfreies Leben auch ein Menschenrecht.
Ja, meine Mutter. Sie ist auch Diversity-Trainerin, schon seit den 1990ern. Sie hat mich da nicht hingepushed, aber wir haben uns immer viel dazu ausgetauscht und mittlerweile auch schon einige Workshops als Tandem miteinander gemacht. Sie hat eine sehr gute Sicht auf Diversität und einen guten Instinkt und Gelassenheit. Sie kann Dinge sehr gut einordnen. Und wir arbeiten sehr gut miteinander, weil wir divers sind: Sie ist älter, eine Frau, Akademikerin, ich bin das alles nicht, aber dafür Entertainer, eine Rampensau sozusagen, sie hingegen eher zurückgezogen. Das ergänzt sich wirklich gut.
Das stimmt. Gerade in der Pubertät haben viele Menschen das Bedürfnis, sich vom Elternhaus zu lösen. Wir sind aber zusammen geflohen. Unser Zusammenbleiben als Familie war existenziell. Das sich Abtrennen, Revoltieren, fand bei mir zwar auch statt, aber viel differenzierter. Das Verbindende wiegt stärker.
Das spielt immer mit. Ich denke schon, dass ich das bewusst und unbewusst an meine Kinder mitgebe. Krieg ist ein für mich immer präsentes Thema. Ich weiß, was Krieg bedeutet. Das wirkt sich natürlich auf den Alltag aus, und meine Kinder selbst haben demnach auch einen anderen Blick auf das Thema Krieg und Vertreibung.
Absolut. Ich glaube, das ist das Problem vieler Menschen gewesen nach dem letzten großen Krieg hier in Europa. Dass sie nicht darüber gesprochen haben, weil sie nicht wollten, nicht konnten. Und das hat viel Leid mit sich gebracht und wirkt bis heute noch nach. Dieser Schmerz muss verarbeitet werden.
Ich habe den Kuddelmuddel-Podcast, darin unterhalte ich mich mit verschiedenen Menschen, die sich mit Diversität beschäftigen. Das ist spannend und auch ich lerne dabei immer sehr viel. Über das Empowerment, Engagement und die reellen, echten Beispiele meiner Gäst*innen. Mir ist es wichtig, dass es verständlich ist und dass es Lust macht. Lust auf Vielfalt. Das ist eine Herzenssache. Lust spielt immer eine große Rolle, beim Essen, bei Sport oder der Sexualität. Wenn man keine Lust hat, funktioniert es nicht.