Johan Filip Axenpalm (er/ihm)

Heute entscheidet die Diversität im Team mehr denn je über den Wettbewerbsvorsprung eines Unternehmens. Wir entwickeln Produkte für einen globalen Konsumenten. Deutschland hat hier ein enormes Potential in der Bevölkerung. Das gilt es jetzt smart zu nutzen.

Johan Filip Axenpalm ist bei Meta für die Themen Public Policy und Government Affairs zuständig und leitet seit sechs Jahren auch die Unit Diversity, Equity und Inclusion – für ihn eine echte Herzensangelegenheit.

Johan, was bedeutet Diversität für dich persönlich? Was ist deine Definition von Diversity?

Diversität ist für mich die Fähigkeit, dem am stärksten von der gesellschaftlichen Norm abweichenden Glied im Raum Gehör zu verschaffen und dabei zu helfen, gesehen zu werden. Zu verstehen, welche strukturellen Diskriminierungen diese Person erfahren hat und wie sich diese strukturellen Elemente eliminieren lassen, um das Beste aus der Person herauszuholen: ihre Visionen, ihre Ideen, ihre mutigen Fragen, ihre Kritik.

Hier liegt ein Schatz begraben, wir fangen gerade erst an ihn zu begreifen. Aber er entscheidet aus meiner Sicht darüber, mit welcher Innovationskraft wir künftig unterwegs sein werden. Für Unternehmen liegt hier ein enormes Potential aber auch eine große Verantwortung, denn die Wirtschaft kann viel bewegen.

Was würdest du sofort ändern, wenn du könntest?

Ich würde Vorstände divers besetzen. Über eine Quote oder freiwillige, messbare Commitments. That‘s where the magic happens.

Du bist Mitglied im Diversity, Equity and Inclusion Leadership Team bei Meta und arbeitest als Mentor und Berater bei zahlreichen Organisationen, unter anderem für 2hearts, eine Organisation, die sich zum Ziel gesetzt hat, Menschen mit Migrationsgeschichte im Tech Bereich zu fördern. Welche Rolle spielt Diversität in deinem privaten Leben? Und trennst du das von deinem beruflichen Engagement? Geht das überhaupt?

Das ist eine spannende Frage. Ich habe lange Zeit strikt getrennt zwischen Arbeits- und Privatleben, weil ich den Mehrwert nicht gesehen für die ein oder die andere Seite. Vielleicht habe ich meinen Backround sogar ein Stück weit versteckt. Ich wollte als erfolgreicher Johan wahrgenommen werden.
Meine Eltern sind beispielsweise beide Nichtakademiker und würden qua Definition vermutlich sogar als Analphabeten tituliert werden. Perspektiven, die man bei keinem Arbeitgeber unbedingt gern an den Tisch bringt, wo die anderen Kollegen eher in Harvard oder Cambridge studiert haben. Meine Befürchtung war also lange Zeit – und ich habe sie ehrlich gesagt auch noch nicht komplett abgelegt –, dass mein Hintergrund und meine Biografie gegen mich genutzt werden könnten. Ich würde aber sagen, dass ich innerhalb der letzten vier Jahre einen persönlichen Durchbruch erlebt habe. Ich kam immer mehr mit Leuten in Berührung, die diese Trennung für sich aufgebrochen haben und die Kraft ihrer Biografie erkannt haben, die erzählt haben, wer die Menschen sind, die sie geprägt haben, die darüber gesprochen haben, was Migration, das Asylverfahren oder das Gründen eines eigenen Businesses mit und aus ihnen gemacht hat. Was es heißt mit nichts nach Europa zu kommen, sich tiefgehende Identitätsfragen zu stellen und lange Zeit suchend zu sein. Diese Einzigartigkeit und neue Perspektive auf die Biografie meiner Familie und die meinige war und ist ziemlich neu für mich: Das als Bereicherung zu sehen, als Potenzial zu empfinden und als Motor zu verstehen. Meines Erachtens reicht es gerade in der Arbeitswelt nicht mehr aus, Menschen aufgrund ihrer Abiturergebnisse und Uniabschlusses zu filtern.

Du sagst, dass dir die Passion für das Thema Diversität in die Wiege gelegt wurde, gab es aber dennoch einen Schlüsselmoment, der dein Bewusstsein für das Thema getriggert hat? Oder war das ein Prozess?

Es war ein Prozess. Und es ist sicherlich der Zeitgeist, der mir hier in die Karten spielt. Da waren plötzlich Menschen, die den Mut aufgebracht haben, ihre Geschichte zu erzählen und die mir mittlerweile ein tolles Netzwerk bilden. Ich habe das Gefühl, Teil einer Welle zu sein, und sie auch mitzugestalten. Der Mut zu mehr Vulnerabilität ist — zum Glück — in aller Munde. Coaches, Podcasts, Titelblätter bespielen das Thema. Der Einsatz für Diversität und Intersektionalität ist andererseits keine Wahl, sondern fast schon ein Pflichtgefühl. Ich habe das Gefühl zurückgeben zu wollen, weil ich es mittlerweile kann. Ich blicke dankbar auf meine Integrationserfahrung, aber mittlerweile auch auf die schmerzhaften Stufen der Karriereleiter. Ich war acht als wir von Schweden nach Deutschland zogen und die Unterstützung, die ich von der Schülerschaft und Lehrerschaft erfahren habe war beispielhaft.

So viele Unternehmen sprechen davon, aber wie kommt man tatsächlich dahin: Was macht eine inklusive Unternehmenskultur aus?

Es ist trendy, im Jahr drei Leute einzuladen zum Thema Diversity, das dann auf einschlägigen Karriereplattformen zu teilen und damit hat sich die Sache. Ich habe aber festgestellt, wie wichtig es ist, dass das Unternehmen tatsächlich und authentisch an der Seite der Menschen steht.

Für mich waren die sogenannten Employee Ressource Groups bei Meta unglaublich wichtig: Kollegen und Kolleginnen jeder Façon kommen hier in Gruppen zusammen und bestärken sich gegenseitig, sei es in Pride-, Woman-, Migrant-, Disability-, oder Black-Groups. Mich hat das sehr beeindruckt, zu hören, welche Geschichten die Menschen hinter sich haben und welche Hürden sie auf sich genommen haben, um sein und zeigen zu können, wer sie sind.

Außerdem ist es eine Ressourcenfrage. Wenn es ernst gemeint ist, braucht man WoManpower und Budget. Und letztendlich sollten die Incentivierungen auf Augenhöhe zu allen anderen regulären Mitarbeitenden-Fortbildungen stattfinden, als etabliertes und notwendiges Format. Wir brauchen letztlich KPIs für genau diese Themen. Ansonsten bewegt sich wenig. Gerade in makroökonomischen Krisenzeiten, wie der jetzigen, wird gerne als Erstes bei diesen Themen gespaart.

Gibt es Marker anhand derer sich feststellen lässt, wie inklusiv sie wirklich ist?

Diversität wird sich in keinem Konzern durchsetzen, wenn die Vorstandsetagen und Aufsichtsräte nicht auch divers besetzt sind. Ich glaube fest an den Top-Down-Approach. An die Frauen- und Diversitäts-Quote. Erste Modelle aus Norwegen belegen eindrucksvoll: Performance, Profit und Innovationskraft steigen. Es geht mittlerweile weniger um die Evidenz. Diese haben wir seit rund 5 Jahren und sie ist erfreulich und belastbar. Es ist vielmehr ein politischer Machtkampf. Überall dort, wo mächtige Positionen über viel Budget und die Besetzung von Stellen entscheiden, gibt es diese Kämpfe. Menschen die aktuell die Positionen inne haben, halten an ihrer Macht fest. Das sollten wir auch benennen und uns überlegen wie wir sie incentivieren können C-level-Positionen divers zu besetzen.

Ein weiterer Parameter ist, sich regelmäßig anzuschauen: Wer wird befördert, wer bekommt die hochkarätigen Projekte? Gibt es Gehaltsanpassungen für Frauen als auch Menschen mit diversen Hintergründen? Hier liegen zwar noch nicht einmal Daten vor, aber die Vermutung liegt nahe, dass es auch hier — wie beim Gender Pay Gap — massive Gehaltsungleichheiten gibt.

Du beschäftigst dich viel mit der Frage wie digitale Plattformen als Treiber für Innovation fungieren können. Warum sind gerade auch hier diverse und inklusive Teams so wichtig?

Die Metriken und Evidenzen sprechen alle dafür, dass wir diverse Teams aufbauen sollten. Wir beobachten es bereits jetzt und in Zukunft wird sich die Lage zuspitzen: Wettbewerbsvorteile entstehen mit diversen Teams. Nur so können wir den „Global User“, der für die meisten Unternehmen ja essenziell ist, adressieren. Das gelingt uns nur, wenn wir den globalen Konsumenten reflektieren.

Wir bei Meta haben zum Beispiel über vier Milliarden Nutzer, und sind gut beraten als Organisation, alle Perspektiven mitzudenken und unsere Kollegen aus allen Ländern dieser Welt in die Entwicklung unserer Produkte zu integrieren. Je mehr wir das tun, desto höher ist die Wahrscheinlichkeit auch, dass unserer Technologien angenommen werden und Inklusion fördern — weil sie die Mitte der Gesellschaft abbilden und entlang der Bedürfnisse entwickelt wurden.

Also tragen Unternehmen eine politische Verantwortung?

Unbedingt. Sie haben den Gestaltungsspielraum, die Zukunft nachhaltig zu prägen. Gerade zum jetzigen Zeitpunkt, wo die rechten Parteien erstarken, müssen Wirtschaft und Politik in enger Abstimmung agieren. Politik ist immer darauf aus, der Wirtschaft einen idealen Spielraum zu geben. Und die Wirtschaft kann die Agenda setzen. Vorstände laufen bei der Politik ein und aus. Daran ist wenig auszusetzen. Es ist super, dass immer öfter auch in Unternehmen politische Themen platziert werden, zum Bleispiel gegen Rassismus, Frauenfeindlichkeit oder Homophobie. Das ist der Weg nach vorne. In der Wirtschaft konzentriert sich eine enorme gesellschaftsprägende Kraft.

Was können wir alle tun, um im Alltag inklusiver zu agieren?

Zuerst einmal: Sich der eigenen Privilegien bewusst werden: Wo komme ich her, welche Bildung habe ich genossen und auf wessen Schultern haben sich meine Privilegien manifestiert? Wenn ich mehr habe als viele andere, stellt sich zwangsläufig die Frage: Wer hat dafür bezahlt? Was wir häufig vergessen: Menschen migrieren und fliehen nicht freiwillig. Wer verlässt schon gerne seine Heimat?

Ein weiterer Brückenbauer ist die Fähigkeit, zuhören zu können. Sich zurücknehmen und die Geschichten von Menschen um einen herum wirken lassen, ihnen eine Bühne geben. Das erfordert Größe in einer Zeit, in der wir oft davon ausgehen, dass der Lauteste und Stärkste gewinnt.

Hast du Tipps, wo sich Menschen informieren können zum Thema?

Wir haben einen Schatz an Informationsquellen in Deutschland: Unsere Bürger, die hier leben. Es gibt kaum eine Stadt, die nicht migrantisch geprägt ist. Die allerbeste Quelle also, um sich zu informieren, um Brücken zu bauen, sind Nachbarn und Menschen um mich herum. Ich muss dazu nicht als hochprivilegierter Mensch jedes Jahr in Dutzende Länder reisen, sondern kann mich hier vor Ort mit Mitmenschen austauschen.

Ich verstehe die Überforderung, die viele Menschen bei dem Thema verspüren. Aber: Es ist ok, sich Hilfe zu holen, sich für Trainings anzumelden oder coachen zu lassen. Die Initiative German Dream, People of Deutschland oder 2hearts sind super Startpunkte Hauptsache wir kommen ins Doing und verändern die Strukturen nachhaltig.

Warum engagierst du dich für MoreDiversity?

Europa befindet sich an einem Scheidepunkt in der Geschichte, an dem es in zwei Richtungen gehen kann. Entweder der rechte Flügel nimmt zu und die Chance von Migration wird nicht erkannt. Oder: Wir verstehen die einzigartige Chance und Potenzial der Migration auf unterschiedlichen Ebenen.

Migration wird in den kommenden Jahren noch zunehmen, aufgrund unserer Praktiken und der Politik der vergangene Jahrzehnte.

Für Zugewanderte ist es ein Segen, wenn wir sie würdevoll aufnehmen und integrieren. Für Unternehmen eine einzigartige Chance, diverse Teams aufzubauen und Wettbewerb neu zu definieren. Und für MoreDiversity ist es ein wichtiger Moment, um Führungskräften Sichtbarkeit zu geben, sich zu vereinen und Vorbilder und Role Models zu schaffen. Das hat mir persönlich immer gefehlt.

 

Wir können also die Türen schließen, oder vor Ort helfen und Menschen, die kommen wollen und müssen, in unsere Arbeitsmärkte und unsere Gesellschaft integrieren. Unsere Gesellschaft neu definieren, Grenzen neu definieren, das Grenzenlose sehen: Was ist schon eine Nation? Was ist schon Frankreich, was ist Deutschland? Kaum mehr als ein Konstrukt von Grenzen.

More Diversity kann eine chancenorientierte neue Zukunft mitgestalten. Nicht naiv, sondern mit dem Willen, die notwendigen Debatten auch zu führen. Es wird sich lohnen.

Unterstütze uns, indem du unseren Inhalt teilst!
Tags