Kathrin Zeitler (sie/ihr)
Es ist immer noch die gleiche homogene Gruppe, die in der Kulturbranche das Sagen hat, findet Kathrin Zeitler. Mit alma setzt sie sich für eine Erneuerung der Kulturbranche ein. Das Thema Diversität ist ihr aber auch privat ein Anliegen.
Ich bin Kathrin Zeitler, 41 Jahre alt, Mutter, Partnerin, Freundin, Feministin, Kulturbegeisterte, Netzwerkerin und überzeugte Optimistin aus München. An vier Tagen die Woche arbeite ich als Beraterin für digitale Kommunikation und Transformation bei der Münchner Digitalagentur Ray Sono und leite dort ein Beraterinnen-Team.Eigentlich bin ich aber in der Kulturbranche groß geworden und habe lange Jahre digitale Kommunikation im Musikbereich verantwortet – zuletzt an der Bayerischen Staatsoper. Aus dieser Leidenschaft heraus berate ich freiberuflich weiterhin Kulturinstitutionen und habe einen Lehrauftrag für „Digitale Kommunikation in der Musik- und Entertainmentbranche“ an der Münchner Musikhochschule. Ehrenamtlich bin ich außerdem eine von sieben Mitgründerinnen des Netzwerks „alma – Alliance for Leaders in Music and Arts“, das sich für Zukunftsthemen (wie Female Leadership, Digitalisierung, Nachhaltigkeit) in der Kulturbranche engagiert. Und vor allem voran bin ich begeisterte Mutter von zwei Töchtern (9 und 17 Jahre alt) und sehr glücklich mit dem Vater meiner zweiten Tochter verheiratet. Meine große Tochter wächst im Wechselmodell auf, wohnt also zur Hälfte bei mir und zur Hälfte bei ihrem Vater, dem ich freundschaftlich noch sehr verbunden bin. Privat genieße ich die Zufriedenheit, die eine geschlechtsunabhängige, wohlwollende und fair gelebte Chancengleichheit mit sich bringt – was mir im beruflichen und gesellschaftlichen Kontext leider nicht immer gelingt.
Ich bin immer überzeugter von der Idee des bedingungslosen Grundeinkommens. Für mich war der Durchbruch in meinem Arbeitsleben die Reduzierung meiner Arbeitszeit auf 80 Prozent. Eigentlich wollte ich nie reduzieren, um nicht in der typischen Teilzeitfalle zu landen. Doch letztes Jahr habe ich es dann aus einem Zufall heraus doch ausprobiert. Klar bedeutet das finanzielle Einbußen. Aber: Die Freiheit, die Motivation und die Energie, die ich aus der gewonnenen Zeit ziehe, sind für mich unbezahlbar. Plötzlich habe ich Inspiration und Raum für Ideen und Austausch und die Möglichkeit und Zeit, diese auch umzusetzen. Das gibt mir das Gefühl von Freiheit und Selbstwirksamkeit und stärkt wiederum meine Motivation und Freude – privat wie auch beruflich. Mir ist bewusst, dass diese Möglichkeit ein großer Luxus ist, den sich nicht jeder leisten kann. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde Menschen unabhängig von ihrer Bildung, ihrer Berufswahl, ihrer körperlichen Konstitution, ihrem Geschlecht oder ihren familiären Verpflichtungen die Grundlage für ein sorgloses Existieren sichern. Und mit weniger Sorgen und mehr Zeit wird es Menschen ermöglicht, sich zu entfalten, zu wirken, zu leben. Und das klingt für mich sehr erstrebenswert für uns alle und unsere Gesellschaft.
Weiteres auf meiner Wunschliste ist die Anpassung einiger Gesetze, die in unserer heutigen Zeit gefährlich überholt sind und zu großen Ungerechtigkeiten in unserer Gesellschaft beitragen: Die Kriminalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen im Paragraphen 218, das Ehegattensplitting, welches faireren Steuerrechten für Familien weichen sollte und ein Überdenken der „Partnermonate“ beim Elterngeld, da sie meiner Meinung nach gleichberechtigter Elternschaft entgegenwirken.
Diversität bedeutet für mich Chancengleichheit. Und als Basis für Chancengleichheit verstehe ich unbedingte Offenheit für andere Perspektiven und ständiges Dazulernen, um Diskriminierung zu überwinden. Wir alle sollten selbsterfahrene Ungerechtigkeiten und Diskriminierung klar benennen und deren Überwindung laut einfordern – auch wenn das schwer ist. Die üblichen Beharrungskräfte sind schnell formiert und nicht selten gewaltsam und unerbittlich. Ebenso wichtig ist es aber auch, dass wir uns der eigenen Privilegien bewusst werden und unsere Stimme auch für die Sichtbarkeit von Menschen einsetzen, die nicht die gleichen Privilegien besitzen wie wir. Das funktioniert jedoch nur, wenn ich mich aus meiner eigenen Komfortzone bewege und meine blinden Flecken freilege. Das kann natürlich sehr schmerzhaft sein, wenn es zeigt, wie eingeschränkt und borniert die eigene Weltsicht ist. Aber am Ende ist jede neue Perspektive eine Bereicherung und macht meine Weltsicht bunter. Ich hoffe daher, mein Leben lang immer wieder offen für neue Erfahrungen zu sein. Ich möchte mit Menschen im Dialog bleiben, die andere Erfahrungen als ich gemacht haben und anders denken als ich – und daraus lernen.
„alma – Alliance of Leaders in Music and Arts“ ist ein neues Netzwerk für Pionier*innen (jeden Geschlechts), die den Kultur- und Kreativsektor in eine neu gestaltete Zukunft führen möchten. Durch neue Methoden der Zusammenarbeit, konstruktiven interdisziplinären Austausch und die gezielte Weitergabe von Wissen versteht sich alma als Nährboden für echte Erneuerung und trägt zu einem nachhaltigen Kulturwandel der Branche bei.
Wir setzen uns ein für Female Leadership, Diversität, Digitale Transformation und Nachhaltigkeit – alles Themen, in denen die Kulturbranche nicht nur um Jahre hinterherhinkt, sondern sich teils fahrlässig gegenüber neuen Erkenntnissen und etablierten Standards verschließt. Ganz abgesehen davon, dass die Branche zur Ausbeutung tendiert und Arbeitsbedingungen und -zeiten nicht nur familienunfreundlich, sondern auch gesundheitsgefährdend gehandhabt werden. Oft wird der Profilierungsdrang von Entscheider*innen auf dem Rücken der Mitarbeitenden ausgetragen. Auf Kosten von Menschen, die sich bewusst dafür entschieden haben, in einem schlecht bezahlten Beruf für „eine gute Sache“ und ihre Leidenschaft zu brennen – und dabei leider oft auch verbrennen. Hier setzt alma an: Wir möchten diese leidenschaftlichen Menschen miteinander vernetzen, Mut machen und einen Raum für ihre Visionen und Ideen bieten, die Kulturbranche menschlicher, gesünder, moderner und zukunftsfähiger zu gestalten. Und ihnen eine Stimme geben. Das passiert zum Beispiel durch Wissensvermittlung von „Future Skills“ in Online Veranstaltungen, digitalen Diskussionsrunden zu aktuellen Problemen der Branche, und nicht zuletzt dem Empowerment, das der Austausch mit Gleichgesinnten mit sich bringt. Unsere Überzeugung: Wir sind nicht allein, wir sind viele, die etwas ändern möchten – und das packen wir jetzt gemeinsam an.
Mein persönlicher Antrieb hierfür waren 14 spannende, faszinierende, aber zum Teil auch leidvolle Jahre im Kulturbetrieb. Ich wurde bereits während meines Studiums Mutter und bin daher mit Kleinkind ins Berufsleben gestartet. Immer mindestens Vollzeit arbeitend, um ja nichts zu verpassen und die gleichen Gestaltungsmöglichkeiten wie meine Kolleg*innen zu haben, merkte ich dennoch schnell, was die gläserne Decke bedeutet: Möglichkeiten zur Weiterentwicklung und zum Aufstieg musste ich mir, wenn überhaupt, sehr hart erkämpfen und ich wurde immer wieder mit zementierten Vorurteilen gegen arbeitende Mütter konfrontiert, die mich erschütterten.
Es ist immer noch die gleiche homogene Gruppe, die das Sagen hat. Denn so viele Frauen in den unteren Etagen das System auch stemmen mögen – in den oberen Führungsetagen sucht man vergeblich nach ihnen. Ebenso wie nach Menschen mit Migrationshintergrund oder Behinderung, People of Colour, Nicht-Akademiker*innen. Und obwohl viele queere Menschen in der Kultur arbeiten: Outings sind auch hier noch lange nicht selbstverständlich. Das alles muss sich dringend ändern. Die Kulturbranche braucht neue Mindsets, neue Vorbilder und neue Arbeitsbedingungen.
Tipp Nummer 1: Melde dich bitte bei „alma – Alliance of Leaders in Music and Arts“ an und lass uns an deinem Wissen, deiner Erfahrung und deinen Visionen teilhaben!
Und ohne Werbung gesprochen: Wage den Blick über den Tellerrand. Verschanze dich nicht in der Branche, sondern bleibe neugierig und wissensdurstig, informiere dich, was außerhalb der Kultur-Bubble passiert und vernetze dich mit Führungskräften aus der freien Wirtschaft. Und: Höre nie auf zu lernen. Besonders als Führungsperson ist es neben fachlicher Kompetenz wichtig, für neue Management- und Führungsmethoden offen zu sein, sich weiterzubilden und weiterzuentwickeln. Die Zeit dafür ist immer zu knapp, aber selten verschwendet.
Als begeisterungsfähige Person fällt es mir schwer, Ideen fallen zu lassen, nur weil ich nicht genügend Zeit dafür habe oder weil sie anstrengend, herausfordernd oder langwierig sein könnten. Ich muss mich immer wieder dazu disziplinieren, nicht zu viel zu machen. Denn: Zu viele Projekte heißen auch immer weniger Zeit für die Familie und Freunde. Allerdings sind meine Kinder inzwischen schon so groß und selbstständig, dass die Care-Arbeit deutlich weniger wird und mein Partner fängt besonders in arbeitsreichen Zeiten viel für mich ab, was ich sehr zu schätzen weiß. Und es ermöglicht mir, solche tollen Projekte wie „alma“ auch neben meiner Festanstellung und meiner Freiberuflichkeit mitzugestalten. Danke dafür 🙂