Said Haider (Er/Ihm)
Wir können es uns nicht leisten, uns nur in unseren Bubbles zu bewegen. Das System lässt sich nur gemeinschaftlich verändern.
Interessanterweise stelle ich mich weißen Menschen, also der Mehrheitsgesellschaft, anders vor als meinen eigenen Leuten. Zu ihnen sage ich: Hey, ich bin Said. Ich bin Afghane – und deutsch. Meine Eltern sind Ende der 70er Jahre nach Deutschland geflohen und ich bin in Hamburg geboren. Das ist meine migrantische Biografie.
Und wer bist du außerdem?
Ich bin der Erste in meiner Familie, der studiert hat. Ich habe mich fürs Jurastudium entschieden, weil ich Veränderung in der Gesellschaft wollte. Ich konnte das damals noch nicht in Worte fassen, aber ich wusste: Irgendwas kann noch besser.
Am Ende des Studiums stand ich vor der Wahl: Wie schon im Referendariat klassisch juristisch zu arbeiten, oder: etwas ganz Anderes, Innovatives zu machen. Und ich habe mir gesagt: Ok Said, du hast ein konservatives Studium absolviert, hast viele konservative Leute getroffen – gönn dir doch mal ein Jahr etwas anderes. Dieses eine Jahr hat nie wieder geendet. Seitdem beschäftige ich mich mit den Themen Diversity und Innovation. Und habe vor ein paar Jahren yana entwickelt, einen Chatbot, der Menschen unterschiedliche Hilfestellungen bietet, die Diskriminierungen jedweder Art erfahren haben.
Ja, den gab es tatsächlich. 2010 hat sich in Hamburg ein Netzwerk gegründet, das sozial engagierte Muslime zusammengebracht hat. Ich hatte Muslime in einer Gruppe bislang immer sehr bewusst gemieden, irgendwie erschienen sie mir intuitiv bedrohlich. Die Bedrohung ging für mich dabei nicht von den einzelnen Personen aus, sondern von der Gruppe. Heute verstehe ich, was da dahinter steckte: Ich hatte Angst vor Stigmatisierung und mich deshalb viel mehr mit weißen Menschen umgeben als mit Menschen, die so aussehen wie ich.
Ich bin eine sehr neugierige Person und wollte einfach herausfinden, was mich hemmt. Als ich dann da war, habe ich gemerkt: Boah, Said, du bist total verklemmt, du verhältst dich seltsam. In dieser Gruppe habe ich endlich den Raum bekommen, dieses komische Verhalten und meine Ängste zu erkennen und abzulegen.
Diese Personen im Übrigen, die da damals zusammenkamen, sind alles Menschen, die heute innovative soziale Projekte voranbringen, und sich für Diversität stark machen: Literarisch, journalistisch, wissenschaftlich.
Als Mensch mit Jurahintergrund sucht mein Kopf immer nach der Standard-Definition, nach den gesetzlich festgelegten Diversitätskriterien. Kennen wir alle.
Mein Herz sucht aber nach Erfahrungen. Ich erinnere mich an meine Fußballmannschaft in Hamburg, in der ich Mitspieler unterschiedlicher nationaler Herkunft, vor allem auch jeder sozialen Herkunft, hatte. Innerhalb dieser Mannschaft habe ich zum ersten Mal verstanden, dass es nicht nur uns “Ausländern” echt schlecht gehen kann, sondern auch den sogenannten Bio-Deutschen. Damals hatte Deutschland gerade gemerkt, dass es dieses Narrativ von Gastarbeiter:innen gibt. Das war sehr befreiend für viele von uns, denn das war das erste Mal, dass marginalisierte Gruppen in Deutschland Sichtbarkeit und vielleicht sogar so etwas wie Wertschätzung bekommen haben. Andererseits war das, und ich kann das sogar nachvollziehen, schwer auszuhalten für meine bio-deutschen Mitspieler, um die sich so gut wie niemand gekümmert hat.
Wir müssen uns also darüber im Klaren sein, dass im Kontext Diversität unbedingt auch, neben all den anderen Facetten, schon bei Geburt mitgegebene Privilegien, Marginalisierung und die sozioökonomische Herkunft große Rollen spielen. Wenn wir das Thema nicht auch unter dieser Lupe anschauen, können wir die dahinterstehenden Probleme nicht erkennen und beheben. Die Frage nach Diversität ist eben immer auch eine politische.
Ich hatte während den unterschiedlichen Stationen meines Referendariats immer wieder die Erfahrung gemacht, dass sich zu wenig bewegt in Sachen Migration und Rassismus, dass die Ideen, die Innovation fehlen, um Dinge zum Guten zu verändern. Mir war also irgendwann klar: Ich muss selbst aktiv werden.
Ein Problem von rassistischer Diskriminierung ist ja, dass es immer in einem Machtgefälle passiert. Meistens gibt es eine schwächere Partei und keine Aussicht, sich zu wehren. Das gibt einem oft das Gefühl, allein zu sein. Und führt nicht selten dazu, dass wir uns unterbewusst und bewusst selbst die Schuld geben. Hinter yana steht also der Gedanke, betroffenen Menschen zu zeigen, dass das nicht der Fall ist. Sondern dass das auch anderen passiert, dass dahinter etwas Systemisches, Strukturelles liegt.
Nicht für uns alle sind Anlaufstellen im Falle eines rassistischen Angriffs niederschwellig zugänglich. Die Hürde, sich zu offenbaren, sich verletzlich zu machen, ist zudem oft groß. Und nicht selten wird einem einfach gesagt: Sorry, wir können nicht helfen.
yana ist anonym, einfach zu erreichen und zu nutzen, und dabei komplett zugeschnitten auf Menschen, die Diskriminierung erlebt haben. Man fühlt sich verstanden. yana bietet Orientierung, zeigt Handlungsmöglichkeiten auf und sucht mit den Hilfesuchenden die passende Option heraus. Es geht dabei nicht nur um rechtliche Dinge, sondern oft auch um psychologische Unterstützung.
Ja, eindeutig im Bereich „Mentale Gesundheit“. Die meisten Menschen kommen nicht mit aktuellen Fällen zu yana, sondern bringen jahrelange Rassismuserfahrung mit und wollen verarbeiten. Wir haben hier tatsächlich eine Lücke identifiziert: Klassische Beratungsstellen sind oft nicht darauf ausgerichtet und Therapieplätze gibt es zu wenig. Zumal hier auch auf therapeutischer Seite oft zu wenig Sensibilisierung im Umgang mit rassistisch verursachten Traumata existiert. Deshalb arbeiten wir hier intensiv an besseren Lösungen. Die jüngsten Enthüllungen von Correctiv haben die Ängste im Übrigen nochmal massiv verstärkt. Wir verzeichnen deutlich mehr Zugriffe.
Vor allem müssen wir den offenen gesellschaftlichen Rassismus benennen, damit es sich substanziell verändern kann. Aber darüber hinaus gibt es einen Blumenstrauß an
Handlungsmöglichkeiten:
- Angebote schaffen für Menschen, die sich äußern möchten.
- Menschen teilhaben lassen.
- Institutionen stärken, die sich seit Jahren gegen Rassismus einsetzen.
- Und vor allem: Uns bilden und aufklären. Wir müssen Rassismus verstehen, um ihm zu begegnen. Sonst lähmt er uns.
Teil der Wahrheit ist: Die Gespräche über Diversität und Diskriminierung sind sehr anstrengend, gerade wenn wir unsere Blasen verlassen. Anstrengend, weil sie Gefahr oder Stigmatisierung bedeuten können. Weil uns vielleicht manchmal die Worte fehlen, um zu erklären. Aber Verbesserung tritt nur ein, wenn wir Verständnis schaffen und erweitern. Nicht, wenn wir nur innerhalb unserer Blasen bleiben und uns dafür feiern. Das Zauberwort lautet hier: Intersektionalität. Der Zusammenschluss mit anderen marginalisierten Gruppen, die nachvollziehen können, wie wir uns fühlen, ist ein Schlüssel. Ich denke da vor allem an die feministische Bewegung. Denn Sexismus spielt ja in fast allen Gruppen eine Rolle. Der härtere Weg, aber genauso wichtig: Verständnis schaffen unter den Menschen, die am meisten privilegiert sind, die kaum Berührungspunkte mit Rassismus haben.
Bedauerlicherweise: ja.
Ich denke schon. Ich habe früh, als eines der wenigen nicht-weißen Kinder in einer weißen Umgebung meine Meinung immer sehr höflich und in einer fast schon devoten Art kundzutun. Ich bin weiß sozialisiert. Meine Herausforderung ist eher, den Kontakt zu Nicht-Weißen zu finden und mich zu artikulieren.
Wir brauchen ein anderes Diversitätsverhältnis in politischen Parteien. Aktuell ziehen sich viele Menschen zurück, die sich nicht mehr vertreten fühlen. Das ist höchst alarmierend. Diese Menschen fehlen uns für eine funktionierende Demokratie. Genauso in der Judikativen: Hier sind diverse Menschen zu wenig sichtbar.
Ich sehe es als meinen Auftrag aufzuklären und ein breiteres Verständnis für das Thema Diversität zu schaffen. Wir können es uns nicht leisten, uns nur in unseren Bubbles zu bewegen. Das System lässt sich nur gemeinschaftlich verändern.
Ich lade alle sehr herzlich ein, die Seite www.youarenotalone.ai zu besuchen. Wir bieten nicht nur Hilfestellung, sondern erklären auch relevante Begriffe. Sie ist also auch für Menschen, die nicht primär betroffen sind, interessant.