Felizitas Lichtenberg (sie/ihr)
Bei Diversität und Inklusion geht es für mich vor allem um Wertschätzung, Respekt und Achtung der Menschenrechte. Dafür brauchen wir noch viel mehr Offenheit, Flexibilität und Selbstreflexion.
Ich bin Felizitas Lichtenberg und derzeit Global Head of Diversity & Inclusion bei SumUp, einem global führenden FinTech Unternehmen. Vor SumUp war ich zehn Jahre bei Vodafone und dort zuletzt “Global Lead” für Diversity & Inclusion.
Das Thema liegt mir am Herzen – ich bin in Deutschland geboren und aufgewachsen. Da mein Vater Indonesier war, habe ich früh erfahren, was es bedeutet, “mixed race” zu sein und in interkulturellen Kontexten aufzuwachsen. Ich habe früh in meiner beruflichen Laufbahn erlebt, welche Herausforderungen und Chancen diverse Teams haben und schon als Teenager einen starken Drang gespürt, bei der Verständigung zu helfen, um bessere Erfolge zu erzielen.
Diversität bedeutet für mich beruflich wie persönlich vor allem Wertschätzung und Respekt füreinander zu haben und die Achtung der Menschenrechte. Denn im Endeffekt geht es darum, diverse Perspektiven und Lebenswege wahrzunehmen und zu respektieren. Dafür müssen wir uns ständig der eigenen Stereotypen bewusst werden und diese aktiv hinterfragen. Zusätzlich bedeutet Diversität im beruflichen Kontext, dass Unternehmen die diverse Gesellschaft repräsentieren sollten, gerade um die Kundenbedürfnisse besser zu verstehen.
Ich möchte mit meiner Arbeit etwas zur allgemeinen Chancengleichheit beitragen, egal welches Geschlecht, Alter, welche sexuelle Identität und Orientierung, usw. jemand hat. Das bedeutet für mich, ein Umfeld zu schaffen, in dem jede Person das Beste geben kann, inklusive Menschen mit verschiedenen Neurodiversitätsmerkmalen und anderen Fähigkeiten – egal ob introvertiert oder extrovertiert oder mit welchem ethnischen Hintergrund. Diversität bedeutet für mich auch Chancengleichheit und Unterstützung für Menschen mit diversen sozialen Hintergründen.
Privat bedeutet es für mich zudem, offen zu sein für verschiedene Wege und Lebensmodelle. Oft bewerten wir schnell andere Personen, wenn sie anders sind als wir. Und oft haben wir bestimmte Rollenverständnisse von z.B. Mann und Frau, gerade wenn es um die Aufteilung von Haushalt und Kinderversorgung geht, aber auch in der Arbeit. Diversität bedeutet für mich echte Wahlfreiheit und wenn möglich, sich gegenseitig zu unterstützen, auf dem Weg, den eine Person gehen möchte oder auch ganz allgemein, wie sich eine Person identifiziert und sein möchte.
Ich würde mir generell mehr Offenheit, Flexibilität und Selbstreflexion wünschen. Wir sind nach wie vor noch recht konservativ, was die Rollenbilder von Mann und Frau angeht und reden wenig über Gender, Rollenbilder und interkulturelles Zusammenleben. Des Weiteren haben wir teils recht festgefahrene Strukturen, beginnend im Bildungssystem. Wir erwarten von Kindern und Erwachsenen eine bestimmte Verhaltensweise, die Menschen, die z.B. neurodivers sind, nicht gut einhalten können. Statt Defizite zu sehen, sollten wir uns auf die Stärken fokussieren und ein Umfeld kreieren, in dem jede Person ihr Bestes geben kann. Die zentrale Leitfrage sollte sein: Wie können wir ein sicheres und förderliches Umfeld für unterschiedliche Bedürfnisse ermöglichen?
Ich würde mir zudem wünschen, dass wir einander unterstützen und die Stärken wertschätzen, die jede einzelne Person bringt. Ich würde mir wünschen, dass wir gemeinsame globale Werte leben und weltoffen sind.
Ein paar Beispiele, um hier ein Umdenken anzuregen: Wir sollten Frauen, die erfolgreich im Beruf sind und eine Familie haben, nicht als Rabenmutter oder “karrieregeil” bezeichnen, und Männer, die sich hauptsächlich um die Kinder kümmern oder Schwäche zeigen, nicht belächeln. Auch ist es unangebracht, eine Person, die keine Kinder hat, nach dem Warum zu fragen – nur weil diese Rollenverständnisse tief in unserer Gesellschaft verankert sind. Wir alle sollten zudem offen gegenüber Menschen sein, die sich als LGBTQ+ bezeichnen, neurodivers sind oder verschiedene ethnische Hintergründe oder Behinderungen haben. Und nicht etwas als “schwul” oder “behindert” bezeichnen wenn wir etwas als negative bezeichnen. Wie viele Personen kennt Ihr, die anders sind als Ihr es seid?
Meines Erachtens sind die wichtigsten Hebel klare Zielsetzungen und ein deutliches und sichtbares Commitment der Führungsebene. Es muss greifbar und transparent sein, z.B. wie der Anteil an Frauen und Männern im Unternehmen und auf den unterschiedlichen Ebenen bzw. in den einzelnen Arbeitsbereichen ist oder auch, wie viele Frauen und Männer in welchen Rollen eingestellt werden bzw. das Unternehmen verlassen. Es ist wichtig, dass die Führungsebene für das Thema und einen entsprechenden Wandel offen ist, sich selbst reflektiert und Ihre eigene Verletzbarkeit zeigt. Qualitative und quantitative Daten, beispielsweise aus Besetzungsprozessen, der Vergütung, oder „Fokusgruppen“, können wichtige Hinweise auf Erfolge und Misserfolge auf dem Weg zu mehr Diversität in einer Organisation geben.
Wir können uns selbst immer wieder bezüglich unserer Erwartungshaltung an unser Gegenüber hinterfragen. Was erwarten wir von einem Mann, was erwarten wir von einer Frau und wie bewerten wir das Verhalten? Was denken wir über Personen, die „anders“ sind als wir, sei es durch ihren kulturellen Hintergrund, eine andere Hautfarbe oder ein anderes Geschlecht? Jedes Mal, wenn wir in die Bewertung und Abwertung von Menschen gehen, oft um uns selbst zu bestätigen und aufzuwerten, können wir uns fragen, woher diese Meinung kommt. Wenn wir Aggressionen, Diskriminierung oder Mobbing gegenüber anderen Personen mitbekommen, können wir für diese einstehen. Um eine Veränderung vorantreiben zu können, sind Gespräche und vor allem Aktionen im nahen Umfeld, also im eigenen Haushalt und Familien- und Freundeskreis wichtig. Es ist dabei völlig in Ordnung, die eigene Schwäche zu zeigen. Kein Mensch ist perfekt, wir sind alle voreingenommen und machen Fehler. Und wir dürfen dazu lernen und neue Wege gehen, wenn wir wollen.
Es gibt diverse Best Practices aus verschiedenen Unternehmen oder Ländern, unter anderem in den skandinavischen Staaten wie Dänemark oder Schweden. Dort ist es meist selbstverständlich, dass sich beide Elternteile gleichermaßen um die Kinder kümmern. Gerade in Deutschland ist der Frauenanteil in Führungspositionen im globalen Vergleich immer noch sehr niedrig – und meistens liegt das daran, dass Frauen mehrheitlich die Care-Arbeit in der Familieneinheit übernehmen, was ihre berufliche Laufbahn enorm beeinträchtigt. Daneben ist es eine Annahme, dass es nur daran liegt, aber auch Frauen ohne Kinder sieht man selten in Führungskreisen in Deutschland. Das liegt unter anderem auch daran, dass diese hierzulande größtenteils aus Männern bestehen, die ihr eigenes Netzwerk haben und fördern. Natürlich gibt es viele Vorteile, ein solches Netzwerk zu haben, aber Vielfalt fördert es nicht. Oft wird das Argument genannt, dass es ja nicht viele Frauen in technischen Berufen gibt. Ursache dafür ist unsere stereotypische Erwartungshaltung an die Rollen eines Mannes und einer Frau. Langsam werden Mädchen zum Glück aber auch ermutigt, andere Wege zu gehen, z.B. durch Rollenbilder in Kinderbüchern und langsam werden Jungs ermutigt, auch Emotionen zu zeigen und beispielsweise ein „working dad“ zu sein. Aber das Argument wird hinfällig, wenn wir uns alle anderen Rollen in der Führungsebene und Besetzung anschauen. Bei der gesamten Diskussion ist die Relevanz von Vorbildern nicht zu unterschätzen.
Es gibt auch eine Vielzahl an Policies und Initiativen, die sich für das Thema einsetzen. Wenn diese aber in Unternehmen nicht gelebt werden, weil sich keiner traut, diese wahrzunehmen, bleiben sie leider nur gute Ideen und haben keinen echten Einfluss.
Wichtig ist, eine Kultur zu schaffen, in der jede Person äußern kann, was sie für sich braucht und in der die Menschen offen sind für Andersartigkeit und sich nicht angegriffen oder eingeschüchtert fühlen, sobald Andersartigkeit auf sie trifft. Es ist wichtig, Rahmenbedingungen und ein Umfeld zu kreieren, in dem jede Person effektiv arbeiten kann, mental und körperlich gesund bleibt und idealerweise in der Arbeit aufgehen und sich weiterentwickeln kann. Wenn eine Person mal eine Pause braucht, um sich um die eigene mentale Gesundheit zu kümmern oder Caring-Aufgaben nachgehen möchte, die nicht verschoben werden können, sollte jedem diese Möglichkeit eingeräumt werden, sich diese Zeit zu nehmen. Das Vertrauen sollte da sein, dass die gestellten Arbeitsaufgaben im Rahmen einer gewissen Zeit erfüllt werden, und jedem dennoch die Flexibilität im Privaten gewährleistet wird.
Um so ein Umfeld zu kreieren, sprechen wir global bei SumUp sowohl mit Führungskräften als auch mit allen anderen SumUppern über konkrete Themen wie LGBTQ+, Rassismus, Privilegien, Voreingenommenheiten, Neurodiversität (wie Autismus, ADHS, etc….), häusliche Gewalt und Gender, sowie Mental Health. Die Formate sind dabei entsprechend der Inhalte und Zielgruppe individuell angepasst. Hier ein Video, das unsere Initiativen zusammenfasst. Weiterhin analysieren wir unsere Repräsentation im Unternehmen, darunter den Frauenanteil auf den verschiedenen Ebenen, den Anteil an LGBTQ+-Repräsentation, die Altersverteilung und den ethnischen Hintergrund unserer SumUpper. Das Ziel ist, das Zusammenleben auf der Welt ein kleines Stück weit zu verbessern.
In meiner Rolle ist Durchhaltevermögen sehr wichtig. Obwohl Diversität schon seit vielen Jahren ein Thema ist, bewegt sich immer noch vieles nur langsam und oft fangen die Gespräche mit neuen Personen immer wieder von vorn und mit altbekannten Diskussionen an. Viel hängt dabei auch von der Unternehmenskultur ab. Es ist wichtig, viel und kontinuierlich zuzuhören und gegenseitiges Verständnis zu erzielen. Wir können Einfluss im eigenen Unternehmen und im direkten Umfeld haben, und bedingt auch auf die Communities außerhalb unseres Unternehmens, aber wir können die Ungleichheiten, die es auf der Welt nicht gibt, oder zu Hause, nicht lösen. Entmutigen lassen sollten wir uns davon aber keinesfalls, sondern darauf schauen, was wir im Einzelnen erreichen können und schon erreicht haben.
Achte auf dich, und nimm dir mehr Zeit für deine Freizeit. Du kannst es nicht allen recht machen. Du kannst niemanden retten – jeder ist für sich selbst verantwortlich. Viele beschweren sich, aber können und wollen den Status Quo nicht ändern. Fokussiere dich deshalb auf Personen mit Potenzial und auf solche, die dir Energie geben, anstatt auf die, die sie dir nehmen wollen. Lerne Deine Grenzen klar zu äußern.
Ich verbinde das Thema Diversität stark mit unserer Umwelt und sozialer Verantwortung. Wir haben eine Verantwortung, jetzt zu handeln, um das Leben auf dem Planeten auch für die nächsten Generationen zu ermöglichen. Hierbei geht es für mich vorrangig zum einen um Maßnahmen für die Umwelt, und zum anderen um Initiativen, die Bildungsmöglichkeiten für arbeitslose Jugendliche schaffen. Wir bei SumUp arbeiten diesbezüglich zum Beispiel mit einer NGO in Indien zusammen und haben dort bereits über 4.000 Kinder erreicht. Zudem arbeiten wir mit einer Organisation zusammen, die Java FullStack Kurse für arbeitslose Jugendliche anbietet. 80% der Teilnehmer finden danach eine Arbeit. Selbstverständlich ist uns hier bei der Auswahl ein fair share von diversen Gruppen (Geschlecht, Migranten, LGBTQ+) wichtig.
Wir haben schon viel erreicht und wir müssen weitermachen. Wenn wir uns den demografischen Wandel anschauen, inklusive der alternden Bevölkerung, wird finanzielle Inklusion zunehmend wichtiger, gerade für Frauen im Alter. Es geht nicht nur darum, den Frauenanteil zu erhöhen “just because it is the right thing to do”, es geht um die finanzielle Absicherung im Alter. Wir werden älter, die Scheidungsrate liegt bei 40% und obwohl das Rentenalter steigt, wird es meines Erachtens nicht reichen, um eine finanzielle Absicherung gewährleisten zu können. Schon heute leben viele, gerade Frauen im Rentenalter, an der Grenze zur Armut. Wenn eine Gruppe aufgrund von caring-Aufgaben oder auch klassischen Rollenverteilungen immer zurücksteckt und die andere Gruppe ihre Karriere sorgenfrei leben kann, wird es für die erstgenannte Gruppe – vor allem nach einer Trennung – sehr schwer werden. Der Kommentar „ja, aber der Mann verdient mehr” ist oft hinfällig und stimmt anfangs sehr häufig auch nicht. Da Tech Jobs immer relevanter werden, müssen wir jetzt handeln und früh auch den Mädchen inspirierende weibliche Rollenvorbilder zeigen.