Jian Omar (Er/Ihm)

Ich habe schon früh erkannt, dass die Gesellschaft nicht von selbst vorankommt, sondern der Beitrag eines jeden einzelnen zählt.
Vincent Villwock
Jian Omar: Politiker, Brückenbauer und Kämpfer für Vielfalt und Diversität

Als Mitglied des Abgeordnetenhauses von Berlin setzt er sich unter anderem für eine vereinfachte Einbürgerung ein, um auch politische Teilhabe zu fördern. Seine Vision ist eine inklusive Gesellschaft, die Vielfalt fördert.

Wer bist du und was machst du?

Ich bin Jian Omar, 1985 in Qamischli, Nordsyrien, geboren. 2005 kam ich nach Deutschland und schloss mein Studium der Politikwissenschaften an der Freien Universität Berlin ab. Seit 2021 bin ich als Abgeordneter im Berliner Abgeordnetenhaus, Mitglied der Grünen Fraktion und Sprecher für Migration, Partizipation und Flucht.

Wenn es eine Sache in Deutschland gibt, die du sofort ändern könntest von heute auf morgen, was wäre das?

Es gibt zahlreiche Aspekte, die ich gerne ändern würde, aber wenn ich mich auf eine einzige Sache festlegen müsste, wäre es die Bewusstseins- aber auch tatsächliche Transformation Deutschlands in eine moderne, digitale Einwanderungsgesellschaft. Ich bin fest davon überzeugt, dass wir nur als inklusive, vielfältige Gesellschaft die aktuellen Herausforderungen meistern können.

Wolltest du schon immer Politiker werden?

Als Angehöriger der in Syrien unterdrückten kurdischen Minderheit bin ich sehr früh in meinem Leben mit Politik in Berührung gekommen und habe mich mit Fragen beschäftigt, die Minderheitsrechte betreffen, das hat mich sehr politisiert. In Deutschland fand ich den passenden demokratischen Raum, um mich noch intensiver mit Menschenrechtsthemen und Minderheitenrechten zu befassen, was mich zu meinem Studium der Politikwissenschaften und letztlich zur politischen Arbeit im Bündnis 90/Die Grünen führte.

Würdest du heute wieder in die Politik gehen?

Ja, auf jeden Fall, denn ich kämpfe mit Herzblut für positive Veränderungen in der Gesellschaft und arbeite mich tief in politische Themen ein. Ich habe schon früh erkannt, dass die Gesellschaft nicht von selbst vorankommt, sondern der Beitrag eines jeden einzelnen zählt. Es liegt in meinem Naturell, aktiv zu diesem Wandel beizutragen – deshalb ist die Politik auch meine Berufung.

Wie war es für dich, selbst in Deutschland anzukommen? Gab es da zentrale Erfahrungen, die dich geprägt haben?

Ursprünglich kam ich mit einem Studienvisum nach Deutschland, später wurde ich in Syrien, aufgrund meiner politischen Aktivitäten für Menschenrechte in Syrien, auf die Liste der Verfolgten gesetzt und habe das politische Asyl in Deutschland erhalten. Von hier aus unterstützte ich z.B. Menschenrechtsbewegungen und Demokratiebewegung in Syrien seit 2011. Die größte Hürde hier in Deutschland war jedoch zunächst die Sprache. Als ich mit 20 nach Deutschland kam, konnte ich kein Wort Deutsch. Ich musste mich allein zurechtfinden, die Strukturen hier begreifen und meinen Platz in der Gesellschaft finden.

Du setzt dich als Abgeordneter der Grünen für eine einfachere und schnelle Einbürgerung in Deutschland ein. Warum ist die Einbürgerung immer noch so kompliziert und was sollte sich künftig ändern?

Landesweit sehe ich große Schwierigkeiten bei der Vereinfachung des Einbürgerungsprozesses, um Fach- und Führungskräfte anzuziehen. Ich selbst sehe die Einbürgerung als Bereicherung, denn ein Land wie Deutschland profitiert von Vielfalt und Einwanderung. Wir sollten stolz darauf sein, dass Menschen sich hier einbürgern lassen wollen. Doch die aktuellen bürokratischen und rechtlichen Regeln verlangen, dass sich Einbürgerungswillige die Staatsbürgerschaft erst einmal „verdienen“ müssen. Die Konservativen und Rechten bremsen Reformen ab, wie die Verkürzung der Einbürgerungszeit oder Anerkennung besonderer Leistungen und setzen dafür auf eine „Verdienst“-Ansicht der Einbürgerung.

Warum scheint sich die deutsche Gesellschaft so schwer mit dem Thema Einwanderung zu tun? Warum fühlen sich z.B. Deutsche bzw. Menschen mit Migrationshintergrund häufig, dennoch fremd hier?

Perspektivisch betrachtet, erleben Menschen mit Migrationshintergrund diese Realität täglich in vielen Facetten. Oftmals fühlen sie sich nicht wirklich willkommen bzw. als Teil unserer Gesellschaft. Warum Deutschland Schwierigkeiten hat, sich als Einwanderungsland zu begreifen, obwohl wir von Migration profitieren, liegt darin begründet, dass wir uns zu wenig mit den Fragen beschäftigt haben, wie rassistisch und diskriminierend unsere Gesellschaft tatsächlich ist und wie strukturelle Veränderungen anzugehen wären. Diese Debatte hätte schon vor Jahrzehnten stattfinden müssen, als Gastarbeiter*innen kamen. Wir sollten uns fragen, wie wir das Ankommen von Menschen bestmöglich organisieren und ihnen die volle Teilhabe ermöglichen. Dies ist auch der Grund, weshalb ich mich der Grünen Partei angeschlossen habe, die sich konkret für diesen Wandel politisch einsetzt. Ich bleibe hoffnungsvoll, dass wir gemeinsam daran arbeiten und aufholen können.

Aktuell scheinen Protektionismus und Patriotismus wieder stärker im Trend zu sein, die AfD-Wahlergebnisse scheinen dies zu bestätigen. Du hast am "Tag gegen Rassismus" die Aktion #mischdichein gestartet. Was rätst du jeder einzelnen Person zu tun, um Rassismus entgegenzutreten?

Das Wunderbare ist ja: In unserer Demokratie bieten sich vielfältige Möglichkeiten, sich einzubringen. Zunächst ist es wichtig, sich mit dem Thema Rassismus und Diskriminierung auseinanderzusetzen, zu reflektieren und zu verstehen. Darauf aufbauend können wir überlegen, wie wir aktiv werden können. Schon die Teilnahme an Wahlen und das Abstimmen gegen Parteien wie die AfD oder die Beteiligung an Demonstrationen gegen Rassismus sind Formen des Engagements. Wenn möglichst viele von uns sich auf gesellschaftlicher Ebene einsetzen, können wir gemeinsam konkret gegen Rassismus vorgehen und viel erreichen. 

Zudem ist es natürlich zentral zu verstehen, dass Rassismus tief in unserer Gesellschaft verwurzelt ist, aber auch in verschiedenen Formen und manchmal sehr subtil. Rassismus existiert in verschiedenen Formen, sowohl sichtbar als auch versteckt. Auch wenn nicht jeder direkt betroffen ist, müssen wir uns mit den Auswirkungen auf unsere Gemeinschaft auseinandersetzen. Hier hilft es auch, sich erst einmal selbst für das Thema zu sensibilisieren. Jede*r kann im eigenen Umfeld wirken, rassistische Strukturen erkennen und ihnen entgegenwirken. Alltagsrassismus begegnet uns ständig und überall – auf der Straße, in der U-Bahn, am Arbeitsplatz und auf dem Wohnungsmarkt. Wir müssen einschreiten, nicht wegschauen. In Schulen und am Arbeitsplatz ermutigen wir zur Intervention und Unterstützung von Betroffenen. Solidarität und rechtlicher Beistand sind Schlüssel, um aktiv gegen Rassismus vorzugehen.

Wie bewertest du denn die Gesamtaussicht? Bist du (noch) optimistisch gestimmt?

Ich habe Hoffnung, durch meine Begegnungen mit engagierten Menschen, die aktiv gegen Rassismus vorgehen. Es ist ermutigend zu sehen, wie viele Menschen sich bei Umfragen gegen Rassismus aussprechen, obwohl dieses Engagement in der Praxis nicht immer sichtbar ist. Das Potential ist zweifellos vorhanden, aber es bedarf eben auch der aktiven Entfaltung. Es geht um die Taten, nicht nur die Worte. Und die werden künftig besonders zählen.

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