Dr. Max Appenroth (keine Pronomen/er)
Nicht-binäre Menschen sind die Definition von gelebter Freiheit!
Ich bin trans Aktivist und Diversity-Berater. Mit meiner Beratungsfirma Diversity Factory helfe ich Unternehmen, integrative Arbeitsumgebungen zu schaffen. Damit habe ich meine Leidenschaft zum Beruf gemacht.
Jede*r bringt Eigenschaften, Erfahrungen und Perspektiven mit, die uns einzigartig machen. Wo kommen wir her und wie sind wir aufgewachsen? Welche Staatsbürger*innenschaft haben wir? Welches Geschlecht? Wen lieben wir? Welche körperlichen Fähigkeiten haben wir oder haben wir vielleicht nicht? Es gibt sehr unterschiedliche Dimensionen von Vielfalt, die in uns Menschen zusammenkommen und miteinander wirken. Ich zum Beispiel bin eine Trans-Person in einer schwulen Beziehung. Ich komme aus einer klassischen Arbeiter*innenfamilie. Höchstwahrscheinlich bin ich außerdem neurodivers, auch wenn das nicht diagnostiziert ist. All das sind Perspektiven, die ich mitbringe und die meinen Lebensalltag und meine Erfahrungen beeinflussen – ebenso wie meine Chancen und Barrieren in der Gesellschaft. Genau darüber möchte ich mit meiner Arbeit aufklären und aufzeigen, wie wir eine Chancengleichheit für alle Menschen schaffen und Barrieren abbauen können.
Ich glaube, ich würde für alle Menschen einen Therapieplatz schaffen. Jede*r sollte sich einmal aktiv mit sich selbst auseinandersetzen und das nicht nur aus der Motivation heraus, ein Problem behandeln zu müssen, sondern als Self-Care-Aspekt. Ich glaube, wenn jede*r Zugang zu einem professionellen Beratungssetting hätte, würde das viel bewirken. Nicht zuletzt kann die Auseinandersetzung mit transgenerationalen Traumata uns helfen, gesellschaftliche Phänomene – und auch irrationale Ängste – besser zu verstehen. Ein Beispiel: Meine Eltern waren beide als Kinder sehr arm und hatten nicht genug zu essen. Wenn es mir heute schlecht geht, mache ich erst einmal einen Großeinkauf.
Ich hatte insgesamt vier Coming-Outs. Zunächst habe ich mich mit 13 als lesbisch geoutet, weil ich gemerkt habe: Solange ich als Frau wahrgenommen werde, funktioniert das mit Männern nicht so richtig. Zehn Jahre später habe ich festgestellt: Ich bin gar keine Frau. Dann ergaben die Dinge plötzlich einen Sinn: dass ich Männer eben schon spannend finde, aber nicht in der heterosexuellen Dynamik. Heute bin ich mit einem Mann verheiratet und habe mich entsprechend als schwul geoutet. 2020 habe ich mich außerdem von der gesellschaftlichen Vorstellung losgelöst, dass ich entweder Mann oder Frau sein muss. Jetzt werde ich zwar als Mann gelesen, aber auch dieser Schuh passte nicht zu 100 Prozent. Ich habe für mich festgestellt, dass ich eher in das nicht-binäre Spektrum passe. Ich fühle mich als männliche Person wohl, bin aber mehr als einfach „nur“ Mann. Allein durch diese unterschiedlichen Perspektiven und Erfahrungen, die ich mitbringe, sprenge ich den geschlechtlichen Rahmen von männlich und weiblich. Damit bin ich heute sehr glücklich, weil ich mir Dinge erlauben kann, die ich mir früher untersagt habe. Früher habe ich gedacht, als Mann darf ich bestimmte Sachen nicht. Zum Beispiel habe ich ganz lange nicht meine Nägel lackiert, obwohl ich das einfach immer toll fand.
Genau, es geht um Freiheit. Nicht-binäre Menschen sind die Definition von gelebter Freiheit! Wir reden uns in unserer Gesellschaft immer wieder ein, dass wir alle frei sind, aber wir leben nach so starren Normen und Regeln, die bestimmen, was welches Geschlecht darf und was nicht. Damit berauben wir uns unserer Freiheit. Manchmal habe ich das Gefühl, dass die Ablehnung und die Anfeindungen, die queeren, gerade auch trans und nicht-binären Menschen entgegenschlagen, auch ein Stück weit mit Neid zu tun haben, weil wir uns diese Freiheit nehmen. Was die Menschen, die uns anfeinden, aber oft nicht verstehen: Wir wollen die Normen der Geschlechtlichkeit gar nicht komplett infrage stellen. Wir wollen kein Geschlecht abschaffen und niemandem etwas wegnehmen: Wer sich in seinem Geburtsgeschlecht wohl fühlt, für den oder die ändert sich ja nichts. Das Einzige, was ich mir wünsche, ist, dass wir genau wie alle anderen akzeptiert werden.
Beides ist richtig. Auf der einen Seite gehen wir mit großen Schritten voran. Queere Personen werden sichtbarer, das Internet hat da ganz große Vorteile gebracht. Aber mit der steigenden Sichtbarkeit wächst auch der Gegendruck. Und leider ist es auch ein sehr gut organisierter Gegendruck. Wir sehen weltweit einen Rückschritt, was die Gesetzeslage für queere Menschen angeht. Die Stimmen gegen geschlechtliche Vielfalt werden weltweit immer lauter. Und zwar auf eine Art und Weise, die unsere Existenz bedroht. In den USA, vor allem in Florida, wird die Gesundheitsversorgung für trans Personen eingeschränkt. Trans Menschen können nicht mehr ohne größere Probleme öffentliche Toiletten besuchen, bzw. ich müsste dort jetzt auf die Frauentoilette gehen. Man darf die geschlechtliche Vielfalt nicht mehr auf der Straße zeigen, d. h. mit meinen bunten Haaren und Nagellack würde ich Gefahr laufen festgenommen zu werden. Trans Kinder, deren Eltern sie bei ihrer Transition unterstützen wollen, dürfen von staatlichen Sozialdiensten wegen vermeintlicher „Kindeswohlgefährdung“ aus den Familien genommen werden. Einschränkung der Gesundheitsversorgung, der Teilhabe am öffentlichen Leben, Kinder, die aus ihren Familien genommen werden – all das sind laut UN Kriterien für die Definition von Genozid.
Dahinter steht eine politische Bewegung, ein Zusammenschluss aus fundamental religiösen, meist christlichen Gruppen, und rechtsnationalen und konservativen Parteien, hinter denen ein sehr starkes finanzielles Netzwerk steht. Auch in Europa fließt gerade viel Geld in die Verbreitung von Fake News. Es werden Mythen über trans Personen verbreitet, die die Ängste in der Bevölkerung weiter schüren.
Diese Fraktion kann ich beruhigen: Ich habe in meiner Kindheit kein einziges Kinderbuch gesehen, in dem geschlechtliche Vielfalt abgebildet wurde, und trotzdem sitze ich heute hier als stolze, queere trans Person.
Suizidalität ist bei Jugendlichen die zweithäufigste Todesursache. Bei queeren Jugendlichen ist diese Rate nochmal viermal[MA1] so hoch. Suizide können verhindert werden, wenn die jungen Menschen in einem Umfeld aufwachsen, das sie unterstützt, indem sie sich selbst sehen können – zum Beispiel durch Bücher, die geschlechtliche und sexuelle Diversität abbilden. Hier fehlt es noch an Sensibilität, was so ein kleines Kinderbuch ausmachen kann.
Teilt zum Beispiel dieses Interview auf Social Media! Bildet euch selbst weiter und teilt die Inhalte von vielfältigen Menschen, macht sie sichtbarer. Auch wenn ihr selbst vielleicht nicht queer seid: Wir brauchen auch Allies, die aus ihrer Position heraus dazu beitragen, dass unsere Position auch gehört wird.