Natascha Zeljko (sie/ihr)

Diversität setzt voraus, dass man offen bleibt.

Interview von Belinda Duvinage.

Liebe Natascha, wie stellst du dich Menschen vor, die dich noch nicht kennen?

Das ist eine interessante Frage. Hättest du mich vor ein paar Jahren gefragt, wäre meine eindeutige Antwort: Ich bin Journalistin. Nun ist es aber in den letzten Monaten und Jahren gar nicht mehr so leicht, das so zu beantworten. Ich bin heute Journalistin, die aber auch Unternehmerin ist. Gestern habe ich in einem ärztlichen Anamnesebogen sogar tatsächlich das erste Mal in das Berufsfeld eingetragen: Unternehmerin. Erst dachte ich, das klingt zu hochtrabend (das Impostor-Syndrom hebt skeptisch die Augenbraue). Aber wenn man es herunterbricht, ist es das, was ich mache: Ich konzipiere und unternehme etwas. Es gibt eine Wertschöpfungskette. Ich habe Verantwortung für Mitarbeitende.

Wenn du an Diversität in drei bis fünf Jahren denkst, was wünschst du dir?

Ich habe zwei Wünsche. Einerseits: Weniger Lagerbildung und mehr echter Austausch über politische Grenzen hinweg. Und dass wir offener und positiver werden in Hinsicht auf unsere Einwanderungs- und Willkommenskultur.

Du bist mittlerweile sogar mit zwei Unternehmen unterwegs.

Ja, richtig. 2018 habe ich FemaleOneZero co-gefounded, eine Content-Plattform mit Schwerpunkt Diversity und Digitalisierung. CURAZE hingegen ist ein Netzwerk, das im Kern Start-ups und Unternehmen, und darüber hinaus auch alle anderen Akteure im Bereich des Innovation-Ecosystems miteinander verbindet. Im Moment sind wir dabei, diese beiden Unternehmen miteinander zu verknüpfen und auch unter eine Brand-Logik, unter der Dachmarke CIRCULAZE, zusammenzuführen.

Wie sieht dein Daily Business aktuell aus?

Sehr, sehr viele Calls und Austausch mit Partnern, Kunden und Kundinnen und Supportern. Viel Netzwerkaufbau und -pflege, Konzeption von Content und Event-Formaten. Und manchmal kommt die alte Welt dazwischen und ich führe klassische Interviews.

Stichwort “alte Welt”: Warum hast du nach langen Jahren als Redakteurin in führender Position den Wunsch gehabt, zu gründen?

Der größte Treiber war sicherlich die Situation in den Verlagen. Und da spreche ich nicht nur von Condé Nast, wo ich lange war, sondern auch von Funke und vielen anderen oder aktuell auch an Gruner und Jahr zu sehen. Was war das für ein großartiger Verlag! Es war immer offensichtlicher, dass die Verlage in einer tiefen Krise steckten. Die Heft-Umfänge wurden weniger, die Auflagen sind dramatisch gesunken, das Anzeigenvolumen ging zurück. Gleichzeitig hatten die Verlage keine Antwort auf diese Situation, außer hektisch zu sparen. Und das ist nunmal keine Wachstumsstrategie.

Gleichzeitig war ich in dieser Zeit auf vielen digitalen Netzwerkveranstaltungen unterwegs und habe interessante Frauen, Gründerinnen, aus der Digitalwirtschaft kennengelernt. Und gesehen, dass es auch eine Option wäre, etwas Eigenes aufzubauen und nicht von irgendwelchen Vorgaben der Verlagsleitung abhängig zu sein.

Also war es essentiell für deine Entscheidung zur Selbstständigkeit, dass du Role Models hattest?

Absolut. Ohne, wäre ich diesen Schritt nicht gegangen. Es gibt ja diesen schönen Spruch: If she can see it, she can be it. Ich habe gesehen, dass es eben möglich ist, auch für ganz normale Frauen wie dich und mich. Das war mir nicht so bewusst, vor allem aufgrund meines biografischen Hintergrunds.

Was meinst du mit Hintergrund?

Meine Eltern sind Einwanderer aus dem ehemaligen Jugoslawien, heute Slowenien. Selbst zu gründen, ein eigenes Unternehmen aufzubauen, war erst mal überhaupt keine Option. Meinen Eltern ging es in erster Linie um Bildung und Sicherheit. Sie haben uns immer unterstützt, uns das Studium finanziert und waren glücklich, als mein Bruder und ich Karriere in großen Unternehmen gemacht haben. Seit ich selbst gegründet habe, lautet ihre erste Frage immer: Und, wie läuft das Geschäft? Was machen die Finanzen? Bei ihnen bleibt da immer ein gewisses Misstrauen. Der Schritt in die Selbstständigkeit war also eine sehr autonome Entscheidung, ich hatte keine Vorbilder, es gab dafür keine Blaupause.

War es hilfreich, dass du eine Co-Founderin hattest?

Ja, auf jeden Fall. Ich arbeite einfach gern mit anderen zusammen. Auch als ich nach einem Jahr die GmbH allein übernommen habe, wollte ich gern jemanden mit rein nehmen. Ich finde: Man braucht Sparringspartner und Menschen mit komplementären Stärken. So kam dann übrigens auch der Kontakt zu CURAZE zustande. Ich habe eigentlich nach einer Person gesucht, die sich bei FemaleOneZero beteiligt, es kam dann genau andersherum und ich habe mich bei CURAZE beteiligt. Und den Partner mit komplementären Stärken gefunden. Claus und ich ergänzen uns sehr gut.

Bei FemaleOneZero dreht sich ja viel um Diversität in allen Facetten. Gab es einen Schlüsselmoment, in dem du erkannt hast, dass Diversität und Inklusion wichtig sind, und warum? Oder war das ein Bewusstsein, das langsam gewachsen ist, dass du erlernt hast?

Ich bin aufgewachsen ohne das Gefühl von Benachteiligung. Zuhause hatte ich immer das Gefühl, dass ich alles (sein) kann. Ich erinnere mich noch an eine Situation an der Uni, als ich in einem Proseminar naiv geäußert habe, dass ich mich als Frau nicht benachteiligt fühle. Das kam bei meinen feministischen Kommilitoninnen natürlich nicht so gut an. Ich habe erst im Berufsleben festgestellt, wie weit der Weg zur Gendergerechtigkeit noch ist. Gerade im Verlagswesen, in einem sehr weiblichen Umfeld, war das deutlich zu spüren, je höher man kam in der Hierarchie: In der Verlagsleitung oder in Publisher-Funktionen saßen ausschließlich Männer.

Was bedeutet Diversität für dich?

Gelebte Vielfalt in allen Dimensionen. Wir hinken in Deutschland nach meinem Empfinden etwas hinterher. In UK und den USA sind die Diskussionen schon sehr viel weiter. In Deutschland hatten wir lange einen starken Fokus auf das Thema Gender, und mit Diversität in erster Linie Gender-Diversity gemeint. Das hat sich glücklicher Weise verändert, heute verstehen wir die vielen Dimensionen viel besser wie soziale Herkunft, ethnische Herkunft, sexuelle Orientierung oder Neurodiversität. Es geht einfach darum, allen Menschen Chancen zu eröffnen und den bestmöglichen Raum zur Entfaltung zu geben.

Hat sich dein Verständnis von Diversität über die Jahre gewandelt?

Es wandelt sich jeden Tag. Wir sind ja alle Lernende. Wir dürfen nicht davon ausgehen, dass es ein absolutes, universelles Wissen oder eine höhere Wahrheit gibt. Zumal Menschen sehr individuell reagieren, etwa was die Frage nach der richtigen Ansprache und Terminologie angeht. Diversität setzt ja per se voraus, dass sensibel und offen bleibt.

Beobachtest du, dass sich das Bewusstsein auch jenseits einer elitären, akademischen Blase, die sich schon länger und intensiv mit Diversität und Inklusion auseinandersetzt, schärft? Wird es von der Gesellschaft mehr mitgetragen?

Ich würde sagen: Ja und Nein. Diese Themen haben zwar mehr Menschen erreicht, aber es gibt auch unglaublich starke Abgrenzungstendenzen und Leute, die sich von dem Thema massiv provoziert fühlen. Ein Beispiel ist die gendergerechte Sprache. Wie ideologisch, emotional und hässlich diese Debatte geführt wird, und mit welchem teils diffamierendem Sound! Ich würde mir sehr wünschen, dass sich die Gemüter auf allen Seiten beruhigen, damit wir uns konstruktiv austauschen können. Diese Polarisierung und der Rückzug in Mikroblasen wird niemanden nutzen. Ich halte das sogar für eine Schädigung der Demokratie.

Wenn du an Diversität in drei bis fünf Jahren denkst, was wünschst du dir?

Ich habe zwei Wünsche. Einerseits: Weniger Lagerbildung und mehr echter Austausch über politische Grenzen hinweg. Und dass wir offener und positiver werden in Hinsicht auf unsere Einwanderungs- und Willkommenskultur. Deutschland braucht dringend Fachkräfte aus dem Ausland. Wir müssen uns schon fragen, warum andere Länder wie Kanada zum Beispiel attraktiver sind bei Expats. Vor allem das Klima in Teilen von Ostdeutschland macht mir wirklich große Sorgen.

Was definitiv nicht hilft: Wenn die Politik, ich schaue da in Richtung von Friedrich Merz, dieses Thema instrumentalisiert. Solche künstlich aufgebauschten Debatten und Verzerrungen helfen uns nicht weiter. Was mich stört, ist, dass Teile der Politik stark Ideologie getrieben statt pragmatisch und lösungsorientiert sind. Auch und gerade für die Wirtschaft ist das von großer Bedeutung. Überhaupt habe ich den Eindruck, dass die Wirtschaft und Unternehmen hier weiter sind als die Politik.

Was ist dein Tipp: Wo kann man sich in Sachen Diversität Inspiration holen?

Bei Diversitäts-Initiativen wie MoreDiversity zum Beispiel. Aber auch viele der großen Unternehmen machen sehr gute Arbeit und nehmen das Thema ernst. Sie zeigen es tagtäglich mit ihrer gelebten Kultur in den Unternehmen. Viele sind wirklich die Avantgarde.

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