Stuart Bruce Cameron (er/ihm)

Diversität ist kein nice-to-have, sondern ein must-have. Unternehmen, die das nicht verstehen, werden von der Konkurrenz überholt. Wenn es um Diversität geht, ist es an der Zeit, dass Unternehmen ihre Augen und Herzen öffnen - und ihre Arbeitskultur verändern!
© UHLALA Group
Wer bist du und was machst du?

Ich bin Stuart Bruce Cameron, 43 Jahre alt und Geschäftsführer der UHLALA Group, die ich vor 14 Jahren gegründet habe. Unsere Hauptaufgabe ist es, LGBTIQ+ Personen am Arbeitsplatz zu stärken. Zudem bin ich Mitgründer von PANDA zusammen mit Isabel Hoyer. PANDA ist ein Netzwerk, das sich dafür einsetzt, die Präsenz von Frauen in Führungspositionen auf 50% zu erhöhen.

Ursprünglich hatte ich nicht vor, im Bereich Diversität tätig zu sein. Es war eher aus dem Bedürfnis heraus motiviert, ein Arbeitsumfeld zu finden, in dem ich offen zu meiner Identität stehen konnte. Mein Wunsch war es, einfach so behandelt zu werden wie alle anderen im Unternehmen auch, was vor 20 Jahren noch unglaublich schwierig war. Während ich eine Karrieremesse für den Mittelstand organisierte, beschloss ich kurzerhand, eine Messe für LGBTIQ+-freundliche Unternehmen zu gründen. Damit wollte ich anderen Menschen eine Plattform bieten, auf der sie sehen können, welche Unternehmen wirklich offen für Vielfalt sind und sich aktiv darum kümmern. Vor 14 Jahren startete dann die erste LGBTIQ+ Karrieremesse, die anfangs nur sehr begrenzt Erfolg hatte: Von 3.000 angefragten Unternehmen waren  genau 6 bereit, teilzunehmen. Diese 6 Unternehmen waren allerdings damals bereits Vorreiter und hatten sogar LGBTIQ+-Mitarbeiternetzwerke, was damals noch sehr selten war. Das bestärkte mich darin, dass Veränderung möglich ist und es weiterzuführen. Heute ist die STICKS & STONES eine der größten Jobmessen überhaupt und wir konkurrieren eher mit Mainstream-Veranstaltungen.

Wenn du eine Sache in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Im LGBTIQ+-Bereich würde ich sofort bewirken, dass Unternehmen nur als Teilnehmer an CSD-Veranstaltungen zugelassen werden, wenn sie auch tatsächlich Pride-Champions sind. Das bedeutet, sie müssen nachweisen können, dass sie aktiv LGBTIQ+-freundliche Arbeitsumgebungen schaffen. Derzeit können alle Unternehmen teilnehmen, und oft müssen Organisationen sogar Unternehmen einbinden, die wenig für das Thema tun oder sogar dagegen arbeiten. Das vermittelt einen falschen Eindruck. Wenn der CSD Deutschland oder andere Vereine dieses Kriterium einführen würden, wäre die Auswahl qualitativ hochwertiger und die Botschaft authentischer. Das würde zudem klare Richtlinien für die Teilnahme schaffen und das Problem des „Pinkwashing“ reduzieren, da derzeit jeder CSD seine eigenen Kriterien setzt.

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Was hat sich seit der ersten Messe in Deutschland im Bezug auf LGBTIQ+ verändert?

Wir kamen zur richtigen Zeit, als Diversity in Deutschland erstmals an Bedeutung gewann. Die erste Diversity-Konferenz fand statt und legte den Fokus auf Gender-Diversity, was bis heute ein Hauptthema in vielen Unternehmen ist. Unsere Veranstaltung war die erste im Karrierebereich. Unternehmen wurden auf uns aufmerksam, da wir eine Lücke füllten. Im Laufe der Zeit konnten wir immer mehr anbieten, mehr Unternehmen nahmen teil und beschäftigten sich intensiver mit dem Thema. Zudem bildeten sich mehr LGBTIQ+-Netzwerke in Unternehmen, was das Thema natürlich weiter voran und in die Breite brachte.

Ein entscheidender Faktor, warum Unternehmen immer mehr in Diversität investieren, ist leider oftmals nur der wirtschaftliche Nutzen. Studien zeigten, dass die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen steigt, wenn sie divers aufgestellt sind. Das hat also selbst konservative Unternehmen dazu bewegt, Diversität zu fördern, um Kunden und Mitarbeiter nicht zu verlieren. Diversitätsarbeit ist aber komplex und erfordert langfristige Anstrengungen. Es ist ein Missverständnis, dass es mit kleinen Aktionen getan ist. Es braucht ernsthaftes Engagement von oben und mehr als nur finanzielle Mittel, um einen nachhaltigen Wandel zu erreichen.

Der Begriff “alte weiße Männer” wird aktuell immer wieder in den (sozialen) Medien verwendet, wie stehst du zu dieser Diskussion?

Was mich stark bewegt und aktuell auch sehr präsent ist, betrifft die Schaffung eines Feindbildes: Das Bild des alten, heterosexuellen CIS-Mannes, dem quasi alles Negative in dieser Welt zugeschrieben wird. Diese Darstellung von ihm als Verhinderer von Gleichberechtigung, Chancengleichheit und Zugehörigkeit wird auf Social Media und vielen anderen Plattformen häufig wiederholt. Dadurch entsteht ein verzerrtes Bild, das der Realität nicht gerecht wird. Natürlich existieren toxische männliche Personen, das steht außer Frage. Doch dies trifft nicht auf alle zu. Es gibt zahlreiche Männer, die sich für Gleichberechtigung einsetzen, das patriarchale System kritisch sehen und positive Beziehungen zu Frauen führen. Sie sind auch offen für die LGBTIQ+-Community und kämpfen für Veränderungen.

Es ist essentiell, dass Männer nicht pauschal in eine Gruppe gesteckt werden, da dies letztendlich der Sache schadet. Wir sollten insgesamt weniger spalten und mehr reden. Anstatt einer bestimmten, wiederum sehr “homogen” interpretierten Gruppe Schuld zuzuweisen, sollten wir vielmehr alle in den Dialog einladen, gemeinsam an Veränderungen arbeiten und unsere Strukturen in Deutschland verbessern.

Wie siehst du die aktuelle Dynamik im öffentlichen Diskurs? Es scheint gelegentlich fast so, als ob ein Wettbewerb entsteht, bei dem Unternehmen oder Personen all ihre Diversitäts-Dimensionen nachweisen müssen.

Besonders auf Social Media fällt auf, dass extreme Meinungen oft die meiste Aufmerksamkeit erhalten. Diese Extreme reichen von links bis rechts und es entsteht der Eindruck, sich positionieren zu müssen. Wenn beispielsweise jemand Schwierigkeiten mit geschlechtergerechter Sprache hat, wird dies oft sofort als rechtsgerichtet oder sexistisch abgestempelt. Ähnlich wird jemand, der konservative Werte respektiert und dennoch offen für LGBTIQ+ ist, schnell als „super links“ betrachtet. Diese Polarisierung ist anstrengend und die meisten Menschen befinden sich vermutlich eher in der Mitte. Der Ansatz, Menschen mit Druck zu verändern, funktioniert zudem meist nicht nachhaltig. Es ist effektiver, Menschen mitzunehmen, Fehler zuzulassen und Verständnis zu fördern. Ein inklusiver Ansatz wäre wünschenswert, der nicht darauf abzielt, Schuld zuzuweisen, sondern gemeinsam gegen schädliche Systeme wie den Kapitalismus und das Patriarchat anzukämpfen, die uns ja alle beeinflussen.

Was sollten Unternehmen auf dem Weg zu einer inklusiven Kultur vor allem beachten?

Der häufigste Fehler von Unternehmen liegt darin, dass sie anfangs oft schnell Geld investieren und dann impulsiv handeln, ohne Planung oder Analyse. Dies führt jedoch selten zum Erfolg. Meist folgt daraufhin ein Rückschlag, bei dem viel Geld verschwendet und wenig erreicht wird. Der entscheidende Schritt besteht nämlich darin, erst einmal den IST-Zustand zu analysieren, um zu verstehen, wo das Unternehmen überhaupt steht. Danach erfordert es eine klare Strategie für die nächsten ein bis drei Jahre, gefolgt von einem detaillierten Aktionsplan. Der Prozess erfolgt schrittweise, mit regelmäßigen Überprüfungen, was funktioniert und was nicht. Durch kontinuierliches Lernen und Anpassen kann eine stetige Verbesserung erreicht werden. Fehler sind unvermeidlich, aber auch akzeptabel und ein natürlicher Bestandteil des Lernprozesses in diesem Bereich. Es geht am Ende um einen mittel- bis langfristigen Transformationsprozess und keinen Schalter, den man einmal umlegen kann.

Was ist im Bereich Diversity Management noch wichtig zu beachten?

Unternehmen müssen zuerst begreifen, dass Diversity-Management genauso wichtig ist wie der Vertrieb, das Marketing und die Buchhaltung. Vernachlässigt man es, droht langfristig wirtschaftliche Gefahr. Dieses Thema ist von größter Bedeutung und wird sich noch deutlich weiterentwickeln und ausweiten. Daher sollte erst einmal geprüft werden, wer das Unternehmen bisher geführt hat, ob auf Diversität geachtet wurde und ob das Team heterogen ist. Bei homogenen Gruppen ist natürlich oft deutlich mehr Überzeugungsarbeit nötig. Ein behutsamer Ansatz, der Kommunikation, Erklärungen und des schrittweisen Vorgehens minimiert aus meiner Sicht den Widerstand. Überstürzte Aktionen können eher abschreckend wirken, nicht nur für heterosexuelle Mitarbeiter, sondern auch für LGBTIQ+-Personen, die beispielsweise noch nicht geoutet sind. Und manche Personen werden Veränderungen auch ganz ablehnen. In manchen Fällen kann es deshalb auch beidseitig ratsam sein, sich langfristig zu trennen.

Du hast vorher erwähnt, dass es aus deiner Sicht falsch ist, mit Gender-Diversität anzufangen. Warum?

Ein wesentlicher Fehler liegt darin, sich ausschließlich auf Gender-Diversität, also Frauen, zu fokussieren. Ein solcher Ansatz bedeutet lediglich, Frauen anstelle von Männern einzuführen, ohne tiefgreifende Veränderungen zu bewirken. Oft beschränkt sich dies auf weiße, privilegierte, heterosexuelle Frauen, wenn keine umfassende Diversity-Perspektive vorhanden ist. Dies kann vielmehr zu einem Geschlechterkampf führen, in dem Frauen das Gefühl haben, aufgrund ihres Geschlechts bevorzugt zu werden. Ein echtes Diversity-Management betrachtet alle Dimensionen, Strukturen und Prozesse. Es sorgt dafür, dass die besten Qualifikationen und Fähigkeiten im Vordergrund stehen, anstatt äußerliche Merkmale wie Name, Aussehen oder Herkunft. Nur ein umfassender Ansatz ist langfristig wirksam, auch wenn das mehr Zeit und Ressourcen erfordert.

Wie nimmst du Unternehmen die Angst, dass das Thema zu komplex, zu umfangreich und zu zeitaufwendig ist?

Die Frage, wie man Angst davor nehmen kann, ist vergleichbar mit der Frage, ob Führungskräfte Angst haben, Marketing zu betreiben. Die meisten verstehen, dass Marketing notwendig ist und investieren entsprechend. Ein gleiches Verständnis braucht es für Diversity. Diese Perspektive fördert eine professionelle Herangehensweise und effektive Ressourcenallokation. In großen Unternehmen kann HR allein nicht ausreichen; ausreichende Personalressourcen sind notwendig. Diversity sollte also wie Vertrieb und Marketing betrachtet werden, professionell und langfristig. Dieser Prozess erfordert Zeit, insbesondere beim Start, aber er ist unerlässlich, wenn Unternehmen auch künftig erfolgreich sein wollen.

Ihr habt ein spannendes Tool entwickelt, den PRIDE-Index, der die LGBTIQ+- Diversität von Unternehmen quantitativ misst. Welche Trends habt ihr in den letzten Jahren beobachtet?

Der PRIDE-Index erscheint jährlich Ende Dezember. Es ist ein freiwilliger Index, an dem Unternehmen jeder Größe teilnehmen können, einschließlich öffentlicher Institutionen. Er ermöglicht eine detaillierte Bewertung der LGBTIQ+-Diversität. Jährlich nehmen rund 200 Unternehmen am Audit teil. Der Index dient als Benchmark und zeigt das Engagement der Unternehmen im LGBTIQ+-Bereich. Er hilft ihnen, ihre Position zu bestimmen und Möglichkeiten zur Verbesserung zu erkennen. Einige Unternehmen werden als Pride-Champions ausgezeichnet, sie erreichen besonders hohe Werte. Ein bemerkenswerter Erfolg war z.B. McKinsey Deutschland, das 100 % erreichte. Der Index betrifft jedoch nur Unternehmen in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Globale Unternehmen handhaben Diversitätsmanagement in verschiedenen Ländern oftmals sehr unterschiedlich. Die Ergebnisse können stark variieren, abhängig vom Standort und der Unternehmenskultur vor Ort.

Was würdest du in Deutschland ganz grundsätzlich ändern?

Etwas, das mich derzeit stark beschäftigt, ist die Tatsache, dass die Politik in Deutschland besser wissen sollte, wie sie mit rechtsextremen Tendenzen umgeht. Die Vorstellung eines erneuten Abdriftens in ein düsteres Deutschland bereitet mir große Sorgen, eine Entwicklung, die ich wirklich nicht erleben möchte. Wir sehen auch eine Zunahme von Gewalt gegenüber LGBTIQ+-Menschen, insbesondere solche, die nicht in herkömmlichen Geschlechterrollen auftreten.

Ein weiteres Thema, das mich beschäftigt, wäre die Einführung eines Zufriedenheitsindex in Deutschland. Es geht nämlich nicht nur darum, ständig die wirtschaftliche Lage zu überwachen, sondern auch zu erfassen, wie zufrieden die Menschen tatsächlich sind. Wenn wir dies besser messen und analysieren würden, könnten wir gezielte Maßnahmen ergreifen, um z.B. in verschiedenen Regionen und Städten das Wohlbefinden zu steigern. Ich glaube, wenn die allgemeine Zufriedenheit höher wäre, würden die rechtsextremen Kräfte keinen so starken Aufwind erfahren. Meiner Meinung nach resultiert dieser Aufwind nämlich vor allem aus Unzufriedenheit und Angst.

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