Dr. Ricarda Engelmeier (sie/ihr)

Eltern müssen in einen echten Dialog über die Verteilung der Elternzeit und der Care-Arbeit und die Planung beider Karrieren treten.
Wer bist du und was machst du?

Ich komme aus München und habe in München MyCollective gegründet – ein Programm, das Führungskräften den Wiedereinstieg nach der Elternzeit erleichtern will. Die Idee zu MyCollective hatte ich, als ich mit meinem dritten Kind in Elternzeit war. Ich habe meine ersten beiden Kinder bekommen, als ich mit der GIZ in Indien war. Daher hatte ich erst beim dritten Kind die klassische einjährige Elternzeit. Um mich herum habe ich damals viele Frauen und Männer getroffen, die sich die gleiche Frage stellten wie ich, nämlich: Wie schafft man nach einem Jahr zuhause mit dem Kind einen guten Wiedereinstieg in den Job? Manche sind ja auch fünf oder sogar zehn Jahre zuhause, da ist es ja quasi unmöglich, zurück in die ursprüngliche Position zu kommen. Mit MyCollective wollte ich all diesen Talenten dabei helfen, selbstbewusst in den Job zurückzukehren.

Was bedeutet Diversität für dich?

Ich will in einer Gesellschaft leben, in der Frauen und Männer gleichberechtigt sind, und sie voll nach ihren Potentialen leben können, egal woher sie kommen oder wer sie sind. Wenn wir dazu mit unserer Arbeit einen Beitrag leisten können, bin ich zufrieden. Wir bei MyCollective zeigen immer wieder mit neuen Geschichten, dass Wandel möglich ist, dass es viele Positivbeispiele gibt und dass Gleichberechtigung und Diversität am Ende für alle das bessere Ergebnis schaffen.

Wie genau unterstützt MyCollective Eltern?

Wir unterstützen Führungskräfte beim Wiedereinstieg nach der Elternzeit. Einerseits schaffen wir Netzwerke für Eltern, damit sie sich gegenseitig unterstützen und Selbstbewusstsein geben können: Die Elternzeit ist schließlich keine “Pause”, sondern eine Zeit, in der Führungskräfte wichtige neue Skills lernen – Dinge priorisieren zum Beispiel. Im Prinzip ist die Elternzeit eine Art “Master”, eine zusätzliche Qualifikation. Wir haben ein Training entwickelt, das jungen Eltern die Parallelen zwischen den Fähigkeiten aufzeigt, die sie in der Elternzeit erworben haben, und Führungskompetenzen. Rollenvorbilder und Inspiration durch andere Programm-Teilnehmende sind ein weiterer wichtiger Baustein. Andererseits wollen wir präventiv in den Unternehmen wirken und haben Angebote zur Sensibilisierung von Führungskräften. Außerdem haben wir eine App entwickelt, die es Unternehmen ermöglicht, auch mit den Mitarbeitenden in Kontakt zu bleiben, die mehrere Jahre aussteigen. Von unserer Arbeit profitieren auch die Unternehmen: Denn nichts ist so teuer wie in unserem Arbeitnehmermarkt, eine ausgebildete Fach- oder Führungskraft zu verlieren, weil sie sich nach ihrer Elternzeit für ein anderes Unternehmen entscheidet oder dem Arbeitsmarkt sogar komplett fernbleibt. Dazu kommt, dass wir zunehmend in einer Welt  leben, in der nicht diverse Dienstleister weniger nachgefragt oder beauftragt werden.

Was sind die wesentlichen Probleme, mit denen Eltern bei ihrer Rückkehr konfrontiert sind?

Die meisten kehren erst einmal in den Job zurück und merken dann, dass sie nicht mehr Vollzeit arbeiten können oder zumindest flexiblere Arbeitszeiten benötigen. 

Wir müssen Arbeit und Führung neu denken: Wir brauchen neue Führungskulturen, Homeoffice- und Teilzeitmöglichkeiten, gerade auch für Führungskräfte. Leider hat das Tandem-Modell, bei dem sich zwei Führungskräfte in Teilzeit eine Stelle teilen, immer noch Seltenheitswert. Wir müssen uns trauen, solche Job-Sharing-Modelle in der Breite auszurollen!

Sind also die Unternehmen schuld am Karriereknick?

Nicht nur. Frauen tragen immer noch die Hauptlast der Fürsorgearbeit. Vor allem ab dem zweiten Kind kehren viele nicht mehr in den Job zurück. Auch in unserem Programm sind immer noch deutlich mehr Mütter. Dabei wollen wir kein Frauen-, sondern ein Elternnetzwerk sein. Es geht nämlich nur gemeinsam: Eltern müssen in einen echten Dialog über die Verteilung der Elternzeit und der Care-Arbeit und die Planung beider Karrieren treten. Für ein langfristig zufriedenes Familienleben ist das unerlässlich. Denn heute haben Mütter wie Väter ein Interesse daran, ihre Kinder im Wachzustand zu sehen. Hier muss in Deutschland noch einiges passieren. Dabei haben wir super Role Models, die in unserer Community andere inspirieren und motivieren. Grundsätzlich bin ich sehr positiv eingestellt, was die Zukunft betrifft!

Wie erreichen wir mehr Gleichberechtigung?

Meine Theorie ist, dass wir sehr viel erreichen könnten, wenn Frauen und Männer gleich lange in Elternzeit gingen. In Deutschland nehmen die meisten Väter, wenn überhaupt, zwei Monate: einen bei Geburt und einen für den gemeinsamen Urlaub. Die eigentliche Arbeit bleibt an den Müttern hängen. So übernehmen Väter von Anfang an weniger Verantwortung und Care Arbeit; es entsteht weniger Bindung und Verbindlichkeit, da sich die Frau von Anfang an um alles kümmert. Alle Eltern wissen, dass man erst ab dem Moment, in dem die Kinder auf die Welt kommen, anfängt zu lernen, was die Kinder brauchen und wie man sich kümmert. Vorher weiß das keiner. Wenn das nun aber von Anfang an nur einer von beiden lernt, zieht sich das ein Leben lang durch.

Sollte die Elternzeit per Gesetz gleich aufgeteilt werden?

Ich finde: Ja. In Kanada ist das so geregelt: Beide Eltern müssen gleich viel Elternzeit nehmen, sonst verfällt sie. Hätten wir eine ähnliche Auslegung in Deutschland, würden auch Frauen im Beruf weniger diskriminiert, weil alle Geschlechter betroffen wären, es also ein flächendeckendes Thema wäre. Gleichzeitig ließe sich so die Fürsorgearbeit auch mittel- bis langfristig gerechter verteilen, weil von Anfang an der Grundstein für eine gleichberechtigte Elternschaft gelegt würde. Beide Eltern hätten die Chance, bereits in der Elternzeit zum “Care-Arbeits-Profi” zu werden.

Wo stoßt ihr als Familie selbst an eure Grenzen?

[Lacht]. Bei den ersten zwei Kindern mussten wir noch viel dazulernen. Erstmal sind wir automatisch in die alten Rollenbilder gefallen. Beim dritten Kind haben wir uns besser abgesprochen und die Aufgaben klarer verteilt. Am Ende ist das A und O, dass man miteinander redet und im Austausch bleibt. Wir sind beide aktive Elternteile und tragen den Teil zur Familienarbeit bei, mit dem wir den größten Beitrag leisten können. Ist es genau 50/50? Ich denke nicht (immer). Wichtig ist am Ende, dass man immer wieder gemeinsam reflektiert, woher bestimmte Muster und Rollenbilder kommen, sodass man nicht immer wieder in die alten Fallen tappt, sondern versucht, es besser zu machen. Hier helfen einfach immer wieder starke Rollenvorbilder, doch die sind zumindest in den Medien sehr rar gesät. Daher ist es ja auch so schwierig, Veränderungen herbeizuführen. Aber es werden immer mehr Eltern, die eben genau wie wir daran arbeiten, tradierte Rollenbilder und Narrative zu durchbrechen und so Wandel nachhaltig anzustoßen.

Wie kann man euch unterstützen?

Wir sind immer auf der Suche nach spannenden Role Models, die Workshops oder Vorträge in unseren Programmen halten möchten. Mehr zu uns hier

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