Juliana Groß (keine Pronomen / sie)

Wir Erwachsene müssen uns und unser Verhalten besser reflektieren, um Kindern mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, sei es im Sport oder bei der Berufswahl.
Wer bist du, und was machst du?

Mein Name ist Juliana Groß und ich leite seit März 2023 das Projekt “Klischeefrei im Sport – no stereotypes”. Obwohl ich gebürtig von der Ostsee komme, kann ich weder surfen noch segeln oder besonders gut schwimmen – viel lieber erklimme ich Berge auf dem Mountainbike und fahre diese mit großer Begeisterung auch wieder hinunter, oder ich laufe so schnell ich kann hier in der Bielefelder Umgebung durch den schönen Teutoburger Wald.

Mich hat schon immer das Thema Chancengerechtigkeit bewegt und motiviert, da es mich bereits als Kind gestört hat, wenn mir als Mädchen gewisse Fähigkeiten und Eigenschaften abgesprochen wurden. Mein fachlicher Hintergrund sind die Sozialwissenschaften und Gender Studies. 

Wenn du eine Sache in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Mein Wunsch ist, dass wir als Gesellschaft Kindern Freiräume schaffen und damit aufhören, ihnen zu vermitteln, dass sie aufgrund ihres Geschlechts bestimmte Dinge angeblich nicht können. Es ist erstaunlich, wie früh Kinder solche Botschaften von Erwachsenen aufnehmen und damit konfrontiert werden. Wir Erwachsene müssen uns und unser Verhalten besser reflektieren, um Kindern mehr Entfaltungsmöglichkeiten zu bieten, sei es im Sport oder bei der Berufswahl.

Wie bist du zu Klischeefrei im Sport gekommen und welche Pläne habt ihr für die kommenden Jahre?

Ich bin seit 2018 im Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V. (kompetenzz) in Bielefeld beschäftigt. Kompetenzz ist Deutschlands größtes Netzwerk für diese Themen und in der breiten Öffentlichkeit vor allem für die dort angesiedelten Projekte bekannt. Dazu gehören zum Beispiel Projekte wie der Girls’Day und Boys’Day oder die Initiative Klischeefrei, die sich für eine Berufs- und Studienwahl frei von Geschlechterklischees einsetzen. In der Geschäftsstelle von kompetenzz sind rund 90 Mitarbeiter*innen in ganz verschiedenen Projekten beschäftigt, zum Beispiel in den Themenfeldern Demografie, Digitale Teilhabe oder Frauen in Innovation und MINT. 

Mit viel Erfahrung aus dem Bereich der klischeefreien Berufs- und Studienwahl im Gepäck darf ich nun das Berufliche mit meiner persönlichen Begeisterung für den Sport im Rahmen der Projekts “Klischeefrei im Sport” verbinden. Gemeinsam mit allen Engagierten wollen wir Chancengerechtigkeit im Sport weiter voranbringen, Genderstereotypen aufbrechen und eine klischeefreie Sportkultur fördern, um die Teilhabe und Entwicklungsmöglichkeiten im Spitzen- und Breitensport unabhängig vom Geschlecht nachhaltig zu stärken. 

Wie steht es denn um die Chancengerechtigkeit im Sport? Vor ein paar Jahren schien es undenkbar, Frauenfußball zur Primetime im Fernsehen zu sehen, aber heute ist es normaler. Wie beurteilst du die aktuelle Situation und den Trend für die Zukunft?

In vielen Sportarten gibt es deutliche Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern, seien es zum Beispiel die Trainings- oder Spielbedingungen, die Bezahlung oder die Repräsentanz in wichtigen Gremien und Führungspositionen von Verbänden und Vereinen. Das alles fängt aber auch schon damit an, dass wir aufgrund von Geschlechterstereotypen bestimmte Sportarten für uns selbst oder andere als passend oder unpassend wahrnehmen. Oft wird angenommen, Fußball sei nichts für Mädchen und Ballett nichts für Jungen – diese veralteten und einschränkenden Vorstellungen möchten wir überwinden.

Wir sehen weiterhin Unterschiede in der Sichtbarkeit von Sportlerinnen und Sportlern in den Medien. Frauen sind medial weniger präsent als männliche Sportler, und das betrifft viele Sportarten. Zudem gibt es Unterschiede in der Professionalisierung, bedingt durch ungleiche Trainingsmöglichkeiten. Viele Sportlerinnen müssen neben ihrer sportlichen Karriere – entgegen der männlichen Kollegen – noch einer Erwerbstätigkeit nachgehen, was sich auf ihre Leistung auswirken kann.

Unser Ziel ist es, für diese Herausforderungen zu sensibilisieren und gemeinsam mit Sportverbänden die Situation sowohl im Profi- als auch im Breitensport zu verbessern.

Warum scheint es in der öffentlichen Wahrnehmung so, dass im Fußball mehr Fortschritte in Bezug auf Chancengleichheit gemacht werden als in anderen Sportarten?

Im Fußball gab es durch die Europameisterschaft 2022 einen enormen Aufschwung. Die Frauen-Nationalmannschaft war äußerst erfolgreich – das hat die Begeisterung in der Bevölkerung geweckt und gestärkt. Die hohen Einschaltquoten spiegeln das große Interesse der Gesellschaft wider – Fußball hat in Deutschland zudem eine herausragende Stellung. Deshalb ist es wichtig, dass der Frauenfußball sowie Frauen im Fußball mehr Aufmerksamkeit erhalten, und wir sind fest entschlossen, diese Begeisterung mit dem Projekt “Klischeefrei im Sport”, das vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend gefördert wird, und allen Engagierten weiter und nachhaltig zu stärken.

Wie sieht es denn bei den Gehältern aus – gibt es im Profisport Equal Pay?

Beim Thema Equal Pay haben wir in vielen Sportarten noch “viel Luft nach oben”, obwohl es bereits zahlreiche Forderungen nach gleicher Bezahlung gab. Im Austausch mit den Spielerinnen zeigt sich jedoch, dass für sie gleiche Rahmen- und Spielbedingungen noch wichtiger sind als die Bezahlung. Das bedeutet nicht, dass die finanzielle Wertschätzung unwichtig ist; es gibt definitiv Unverständnis für die ungleiche Bezahlung von Mann und Frau.

Die Rückmeldungen von den Spielerinnen zeigen aber, dass sie sich vor allem gleiche Trainings- und Spielbedingungen wünschen, um ihren Sport professionell ausüben zu können, ohne finanzielle Sorgen. Anders als im Männerfußball, wo es oft um hohe Beträge geht, strebt der Frauenfußball nicht nach finanzieller Überdimensionierung. Stattdessen liegt der Fokus darauf, die Fankultur zu schützen und auszubauen sowie den Sport zu einem Ort für Freizeit und Familie zu machen.

Und wie sieht es beim Training von Kindern aus: Bist du für getrennte oder gemischte Teams von Anfang an?

Ich finde, Kinder sollten in allen Sportarten so lange wie möglich gemeinsam trainieren und spielen können. Im Fußball gibt es nicht nur im Kinder- und Jugendbereich, sondern auch im bei den Amateur*innen die Möglichkeit, in gemischten Teams zu spielen. Solche Ansätze tragen zur Chancengleichheit und vor allem zur Nachwuchsgewinnung bei, denn häufig gibt es nicht genügend Mädchen- oder Frauenteams vor Ort, denen sich die Fußballbegeisterten anschließen können.

Als Freizeitsportlerin trainiere und spiele ich gerne in gemischten Teams, sei es beim Basketball, Radfahren oder Laufen. In welcher Konstellation auch immer, gender-mixed oder zum Beispiel in verschiedenen Altersklassen, Teamgeist und Rücksichtnahme stehen für den gemeinsamen Spaß immer ganz weit oben – und damit meine ich genauso die Sportsfrauen, die meiner Erfahrung nach gerne bereit sind, mal einen Gang runterzuschalten. 

Sport hat eine verbindende Funktion in unserer Gesellschaft – gemischte Teams stehen für mich für Spaß, Zusammenhalt und Fair Play.

Was ist die Vision von Klischeefrei im Sport?

Unsere Vision bei “Klischeefrei im Sport” ist eine klischeefreie Sportkultur ohne Geschlechterstereotypen und Chancengerechtigkeit für alle Sportbegeisterten. Wir arbeiten eng mit allen engagierten Partner*innen zusammen, um die Teilhabe und Entwicklungsmöglichkeiten für alle Menschen nachhaltig zu stärken. Es beinhaltet auch die Förderung von Vielfalt und Repräsentation in Gremien, um unterschiedliche Perspektiven einzubringen.

Außerdem möchten wir mit unserer Arbeit einen Beitrag zur Nachwuchsförderung leisten, da ohne Schiedsrichter*innen und Trainer*innen, die sich in den meisten Fällen ehrenamtlich engagieren, kein Spiel möglich ist. 

Wir richten uns hauptsächlich an Sportverbände, bieten aber auch Informationen und Beratung für Medienschaffende an, denn Journalist*innen haben einen großen Einfluss darauf, wie der Sport in der Gesellschaft dargestellt wird. Wir möchten damit einen Beitrag zur angemessenen Repräsentation von Sportler*innen leisten.

Wir wollen ebenfalls dafür sensibilisieren, wie insbesondere Sportlerinnen oftmals in den Medien dargestellt werden. Persönliche Themen wie Aussehen oder Familie stehen nicht selten im Vordergrund. Wir setzen uns für eine Sportberichterstattung ein, die frei von Klischees ist und sich auf die sportliche Leistung konzentriert.

Wie kann man euch konkret unterstützen?

Das Gute ist, wir alle können etwas zu einer klischeefreien Sportkultur beitragen. Es beginnt mit uns selbst und damit, sich mit den (Geschlechter-) Klischees im eigenen Kopf kritisch auseinanderzusetzen. Welche Annahmen und Erwartungen haben wir, welche Zuschreibungen nehmen wir vor? Können wir in unserem direkten Umfeld etwas tun, um Ungleichheiten entgegenzuwirken? Wir alle können ein Vorbild sein und andere bestärken.

Auf unserer Website klischeefrei-sport.de werden wir in Kürze Akteur*innen sichtbar machen, die sich als Institution, Verband, Verein, mit Projekten, Events oder verschiedenen Praxisbeispielen für Chancengerechtigkeit und Klischeefreiheit im Sport einsetzen. Dieses Engagement wollen wir sichtbar machen, vernetzen und zum Nachmachen einladen. Über Vorschläge aus der Sport-Community freuen wir uns sehr!

Und natürlich könnt ihr uns auf Instagram oder LinkedIn folgen und den Klischeefrei-Gedanken weiter teilen. 

Was bedeutet Diversität für dich persönlich?

Für mich bedeutet Diversität die Anerkennung, dass wir aus unterschiedlichen Erfahrungen und Merkmalen bestehen, die unsere Sicht auf die Welt beeinflussen. Diese Vielfalt kann sowohl bereichernd als auch anfällig für Diskriminierung sein, daher erfordert sie eine erhöhte Aufmerksamkeit. Diversität ermutigt uns, offen für Selbstreflexion und neue Perspektiven zu sein. Sie ist eine Quelle vielfältiger Erfahrungen und bietet die Möglichkeit persönlichen Wachstums.

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