Miguel Diaz (er/ihm)

Ich glaube daran, dass wirkliche Chancengerechtigkeit nur möglich ist, wenn allen Geschlechtern gleiche Verwirklichungschancen zur Verfügung stehen.
Kompetenzzentrum Technik-Diversity-Chancengleichheit e. V.
Wer bist du und was machst du?

Mein Name ist Miguel Diaz und ich leite die Initiative Klischeefrei. Die Servicestelle unserer Initiative wird gefördert vom Bundesministerium für Bildung und Forschung und vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.

Wofür genau setzt sich die Initiative Klischeefrei ein?

Die Initiative Klischeefrei wirkt  Geschlechterklischees entgegen, insbesondere der geschlechtsstereotypen  Verteilung auf dem Arbeitsmarkt. Diese Ungleichheit zeigt sich darin, dass etwa 2/3 der Berufe von Männern dominiert werden, knapp ¼ von Frauen besetzt sind und nur etwas mehr als jeder 10. Beruf ein ausgewogenes Geschlechterverhältnis aufweist, wie z.B. Kaufleute. Dies hat vielfältige Nachteile zur Folge: Von der persönlichen Selbstverwirklichung bis zur späteren beruflichen Zufriedenheit. 

Wir setzen uns dafür ein, diese Klischees zu beseitigen. Geschlechtliche Zuschreibungen begrenzen nicht nur Frauen, sondern auch Männer in ihrer freien Entfaltung. Aber auch wirtschaftlich und gesellschaftlich sind die Auswirkungen spürbar. Ich glaube daran, dass wirkliche Chancengerechtigkeit nur möglich ist, wenn alle Geschlechter in den Blick genommen werden. Daher ist es mir wichtig, auch Jungen und Männer in diesen Prozess einzubeziehen, denn trotz der patriarchalen Dividende  haben sie nicht immer eine privilegierte Position. Um dieses Ziel zu erreichen, bieten wir Informationsmaterialien, methodische Anregungen, Spiele und persönliche Beratung für verschiedene Zielgruppen an. So können alle schauen, welche Angebote für sie am passendsten sind, und wie sie damit arbeiten möchten, sei es im Kindergarten, in Schulen, Hochschulen, der Berufsberatung oder in Unternehmen. So kann das Bewusstsein für das Thema Geschlechter-Klischees in ganz unterschiedlichen Bereichen  geschärft werden.

Wenn du eine Sache in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Neben den genannten Themen bereitet mir der Blick auf das Klima natürlich die größte Sorge. Und damit bin ich bei weitem nicht allein. Meine These mag hart klingen, aber ich fürchte mit Blick auf die weiter ansteigenden CO2 Emissionen, dass sich unsere Welt, wie wir sie kennen, noch in diesem Jahrzehnt extrem verändern wird. Nicht nur ökologisch, sondern auch   wirtschaftlich und sozial.

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Wenn du die aktuelle Gesamtsituation in Deutschland betrachtest, wie ist der Trend deiner Meinung nach zu beurteilen? Bewegt sich die Entwicklung mehr in Richtung Genderneutralität oder ist möglicherweise sogar eine Art von Rückwärtstrend erkennbar?

Es zeigt sich eine Ambivalenz. Einerseits sind Bewegungen in Richtung Chancengleichheit und Offenheit spürbar – etwa bei Vätern, die vermehrt Elternzeit nehmen, mehr Frauen in Führungspositionen etc.. Doch parallel dazu erleben wir Rückschritte, wie z.B. das Verbot geschlechtergerechter Sprache. Diese Art von Sprachregulierung sehe ich skeptisch. Beschränkungen in der freien sprachlichen Entfaltung, vor allem für junge Menschen, bereiten mir Unbehagen. Ich finde, wir sollten die gerechte Sprache nicht vorschreiben, aber auch nicht verbieten. Die meisten Menschen treffen keine Wahl für ein Geschlecht, sie sind einfach, wer sie sind. Diesen Fakt sollten wir meiner Meinung nach einfach akzeptieren.

Und ja, es gibt Strömungen, die eine Rückkehr in die 50er und 60er Jahre anstreben. Dennoch wird diese Tendenz wohl nicht überwiegen, da Fortschritte im LGBTQI+-Bereich unser Verständnis von Geschlecht erweitert haben.

Welche Empfehlungen gebt ihr Eltern, KITAS und Schulen, wenn es um das Thema Geschlechterklischees geht?

Aus der Forschung wissen wir, dass jüngere Menschen offener gegenüber Geschlechtergrenzen sind, während diese sich mit dem Alter tendenziell verengen. Daher ist ein früher Start mit dem Thema wichtig. Wir setzen uns dafür ein, die Offenheit, die Kinder im Kindergarten bezüglich Geschlechtergrenzen zeigen, zu bewahren oder auszubauen. Wir bieten eine Vielzahl von Materialien, darunter kleine Details wie eine Baggerfahrerin oder eine geschlechtlich nicht eindeutig zuzuordnende Person in unserem Wimmelbuch. Es ist wichtig , Kindern Materialien zur Verfügung zu stellen, die die Vielfalt unserer Gesellschaft zeigen, inklusive verschiedener Perspektiven.

In der Elternarbeit erlebe ich oft, dass Eltern berichten, sie hätten ihrem Sohn beispielsweise eine Puppe geschenkt, mit der er jedoch nicht gespielt hat. Meine häufigste Frage daraufhin ist, ob es denn überhaupt einen Vater, einen Opa oder einen Onkel gab, der gemeinsam mit ihm mit der Puppe gespielt hat. Hier zeigt sich oft, dass Männer solche Rollen meiden und genau da liegt das Problem. Ein kleiner Junge nimmt das wahr und hinterfragt, warum er mit etwas spielen sollte, das als weiblich gilt, wie beispielsweise mit einer Puppe . Es bedarf also Männer, die solche Geschlechtergrenzen überschreiten und neue Erfahrungen damit machen. Deshalb finde ich es wichtig, einengende Geschlechterklischees kritisch zu hinterfragen, auch mal neue Wege zu gehen,  um  den eigenen Horizont zu erweitern. Nur so werden auch Kinder ermutigt ihren Weg zu gehen, unabhängig von gängigen Erwartungen und Klischees. 

Auch wenn ich mich seit mehr als 30 Jahren mit diesen Themen beschäftige, bin auch ich nicht frei von Geschlechterklischees und meine eigene Sozialisation als Mann und meine klassische berufliche Biografie haben mich beeinflusst. Nur wer eigene Klischees reflektiert, kann ihnen auch entgegenwirken.

Das bedeutet also, je homogener unser Aufwachsen ist, desto eher neigen wir dazu, dasselbe zu wiederholen, wenn uns passende Vorbilder fehlen, die uns umgeben?

Genau, das ist von hoher Bedeutung. Denn es gibt beispielsweise definitiv Frauen in Berufen wie Baggerfahren. Wenn man jemanden kennt, der eine solche Frau kennt, kann man ruhig den Kontakt suchen, sie besuchen oder einladen. Gleiches trifft natürlich auch auf Männer zu. Geschlechter Diskussionen beinhalten aber auch immer Machtverhältnisse, die in der Regel zugunsten von Männern ausfallen. Nicht alle Männer sind in machtvollen Positionen, aber viele profitieren an verschiedenen Stellen von den Machtstrukturen und das sollte uns bewusst sein. Einerseits genießen sie diese Strukturen, werden aber gleichzeitig durch solche Zuweisungen in ihrer Entfaltung eingeschränkt.

Wir müssen uns immer vor Augen führen, dass das zentrale Element in der Konstruktion von Männlichkeit vor allem die Ablehnung von Weiblichkeit ist. Männlich zu sein bedeutet vor allem, nicht weiblich zu sein. Im Gegensatz dazu verläuft die weibliche Sozialisation anders, weshalb es einen Unterschied macht, wenn Männer in vermeintlich weibliche Territorien vordringen – sei es durch das Tragen von Rosa oder Röcken. Während es vor einigen Jahrzehnten zum Beispiel nicht so weit verbreitet war, dass auch Frauen Hosen tragen, gab es hier eine positive Entwicklung, jedoch fehlt eine vergleichbare Bewegung, in der Männer weiblich konnotiertes Terrain betreten.

Warum existiert diese Sozialisierung, die darauf abzielt, „keine Frau sein“ zu wollen?

Ein Ansatz betrifft die frühe kindliche Entwicklung von Jungen, die oft wenig direkten Kontakt zu männlichen Vorbildern haben. Für sie ist der Weg zur Männlichkeit oft nebulös und von Unsicherheit geprägt. Statt Personen, an denen man sich konkret orientieren kann, sehen sie irgendwann oft überzeichnete Medienbilder davon, was es bedeutet, ein Mann zu sein. Die Aufforderung „Lasst die Jungs doch einfach Jungs sein“ unterstellt, es gibt ein richtiges (und damit auch ein falsches) Junge-Sein. Solche Aufforderungen rekurrieren häufig auf ein traditionelles Jungen- Bild, zu dem Raufen, Fußball spielen und Stöcke schnitzen gehört. Auch wenn es natürlich Jungen gibt, die so etwas gerne machen, gibt es halt auch einige Jungs, die das nicht mögen. Da es kein richtiges oder falsches Junge-Sein gibt, sind alle diese Jungs einfach Jungs! Mir ist es wichtig, Binnen-Differenzen innerhalb der Geschlechtergruppen wahr und in den Blick zu nehmen.

Wenn du eine Sache in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Neben den genannten Themen bereitet mir der Blick auf das Klima natürlich die größte Sorge. Und damit bin ich bei weitem nicht allein. Meine These mag hart klingen, aber ich fürchte mit Blick auf die weiter ansteigenden CO2 Emissionen, dass sich unsere Welt, wie wir sie kennen, noch in diesem Jahrzehnt extrem verändern wird. Nicht nur ökologisch, sondern auch   wirtschaftlich und sozial. Wir sind erst am Beginn der Klimakatastrophe und trotz Dürre, Hitze, Brände und Überflutungen habe ich das Gefühl, dass  wir in unserer Gesellschaft die Realität der Klimakrise oft noch nicht erkennen. Wenn ich mir eine Sache wünschen könnte, dann wäre es ein gutes Leben für alle. Dafür brauchen wir aber eine gesunde und gerechte Welt, die uns das ermöglicht.

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