Rachel Dowling (sie/ihr)
Ich kenne Frauen in der Tech-Branche, die offen heruntergemacht wurden.
Ich heiße Rachel Dowling und komme aus den USA. Ich bin in Philadelphia geboren und habe über zehn Jahre lang in Kalifornien gelebt, in der Bay Area, in Palo Alto und San Francisco. Im Jahr 2019 bin ich mit meinem Partner – einem Deutschen – nach Deutschland gezogen. Ich bin CEO und Gründerin von Equal Time. Unser Tool ist eine virtuelle Meeting-App, die man zusammen mit Zoom, Google Meet oder MS Teams nutzen kann und die zum Beispiel analysiert, wer im Meeting die meiste Redezeit hatte oder wer nicht zu Wort kam. Jede*r Teilnehmer*in erhält eine E-Mail mit Feedback: Wie dominant oder unterstützend waren sie? Haben sie den anderen zugehört? Außerdem erstellt Equal Time eine Transkription und ein Meeting-Protokoll.
In jungen Familien ist es oft die Mutter, die Elternzeit nimmt beziehungsweise die viel mehr Elternzeit nimmt als der Vater. Oft nimmt der Vater ein oder zwei Monate und bei der Frau sind es ein oder zwei Jahre. Und selbst wenn sie wieder arbeiten geht, sind es häufig nur 20 oder 30 Stunden. Daher kommt sie in ihrer Karriere langsamer voran. Ich wünschte, es gäbe mehr Gleichberechtigung: dass Männer mehr familiäre Pflichten übernehmen und die Frauen ihre Karriere so weiterführen können, wie sie es gerne möchten. Ich würde mir wünschen, dass es normaler wird, dass Väter eine längere Elternzeit nehmen, dass es normaler wird, dass Frauen in eine Vollzeitstelle zurückkehren und einen Beruf ausüben.
Während meiner gesamten beruflichen Laufbahn habe ich in der Technologiebranche gearbeitet – im Produktmanagement und in den Bereichen User Experience, Design und Datenanalyse. Während dieser Zeit habe ich beobachtet, dass es insbesondere in Tech-Teams häufig nicht sehr integrativ ist und dass es für Frauen schwierig sein kann, ihre Meinung zu äußern und sich als Teil des Teams zu fühlen. Oft gibt es nur eine Frau im Team. Ich kenne Geschichten von Frauen, denen von ihren Chefs gesagt wurde, dass sie sich nicht selbst einbringen, sondern still sein und zuhören sollten, oder dass sie von ihrer Persönlichkeit her nicht in den Tech-Bereich passen: Diese Frauen wurden also offen runtergemacht und es wäre kein Wunder, wenn viele dieser Frauen sich deswegen gegen eine Karriere oder Führungspositionen in der Tech-Branche entscheiden. Ich habe also angefangen, mir Daten aus anderen Branchen anzuschauen, und mir wurde klar, dass es auch hier noch viel Raum für Verbesserungen gibt, was die Themen Inklusion und Repräsentanz in Führungspositionen angeht. Equal Time kann hier helfen, indem es die Dynamik von Besprechungen aufzeigt: Wer dominiert? Wer klaut vielleicht Ideen von anderen?
Equal Time deckt Machtungleichgewichte auf und kann damit dazu beitragen, ein gerechteres Arbeitsumfeld zu schaffen. Dabei geht es jedoch nicht nur um Ungleichgewichte in Bezug auf das Geschlecht – auch kulturelle oder persönliche Unterschiede, z. B. Intra- oder Extraversion, können eine Rolle spielen. Der ausschlaggebende Moment für die Gründung von Equal Care war, als ich mit einer Designerin zusammenarbeitete, die etwas introvertierter war; sie kam auch aus einer Kultur, die eher ruhig war. Und sie war in einem Team mit einem Mann aus Spanien, der extrem laut und dominant war. Es kam immer wieder zu schrecklichen Interaktionen in Meetings. Mir gefiel nicht, wie dieser Mann, aber auch andere in der Firma, sie behandelten und mit ihr sprachen, obwohl ich glaube, dass die Leute, die das taten, sich der Auswirkungen, die sie verursachten, gar nicht bewusst waren.
Mit Equal Time wollen wir die Menschen zur Selbstreflexion anregen. Wenn man am Ende eines Meetings eine E-Mail erhält, in der steht, dass man zu dominant aufgetreten ist und andere nicht hat zu Wort kommen lassen, kann das sehr aufschlussreich sein und ein Anstoß, sich das nächste Mal vielleicht etwas zurückzunehmen. Viele Menschen sind sich nicht bewusst, wie sie andere dominieren, und sind bereit, sich zu ändern. Dies kann eine einfühlsame und integrative Unternehmenskultur schaffen. Unser Tool ist für Führungskräfte gedacht, die sich bewusst machen wollen, wie gut sie unterrepräsentierte Personen in ihre Teams integrieren. Equal Time gibt ihnen ein objektives Feedback darüber, wie sie Meetings moderieren und ob sie tatsächlich alle Stimmen in ihrem Team gut einbeziehen.
Es gibt Fälle, in denen Teilnehmende ein bestimmtes Meeting nicht analysiert haben wollen, und das ist immer möglich. Sie können den Bot jederzeit aus einem Meeting entfernen. Im Allgemeinen würde ich aber sagen, dass unser Tool keinem weh tut und die Arbeit nicht behindert. Die Rückmeldungen, die wir bekommen haben, sind sehr positiv. Uns wurde schon gesagt, dass Equal Time eine sanfte Ermahnung zur Selbstverbesserung ist, ein kontinuierliches Diversity-Training sozusagen. Und natürlich nehmen wir Datenschutz und -sicherheit sehr ernst: Wir verwenden eine Verschlüsselung und unsere Datenbanken sind so eingerichtet, dass sie den modernsten Datenschutz- und Sicherheitsstandards entsprechen.
Das ist ein großes Thema, über das ich schon viel nachgedacht habe. Ich habe den Eindruck, dass Diversity in Deutschland immer noch in erster Linie in Bezug auf das Geschlecht gedacht wird. Über andere Dimensionen der Ungleichheit wie Herkunft, Behinderung, Alter oder Elternschaft wird hier vielleicht noch etwas weniger gesprochen. Allerdings hat Deutschland finde ich beim Thema Geschlechtergerechtigkeit tatsächlich noch einiges aufzuholen. Meiner Meinung nach hat das auch mit den großzügigen Elternzeitregelungen hier zu tun – das ist natürlich eine gute Sache, aber solange Frauen viel mehr Elternzeit nehmen als Männer, führt das dazu, dass viele deutsche Frauen sich im Job zurückziehen: Sie arbeiten in Teilzeit oder nehmen ein, zwei, drei Jahre Elternzeit für jedes Kind, und das bremst natürlich ihren beruflichen Aufstieg.
Die Mitglieder vielfältiger Teams bringen einfach mehr Perspektiven ein und haben unterschiedliche Arbeitsstile. Manche Leute sind eher detailorientiert, andere mehr am großen Ganzen orientiert; manche sind sehr schnell, andere sehr akribisch. Es gibt einfach mehr Ideen, die auf den Tisch kommen. Diversity sollte kein finanzielles Argument sein, aber natürlich erzielen Unternehmen, die Vielfalt ernst nehmen, bessere Ergebnisse: Sie sind kreativer und innovativer, haben höhere Renditen und eine stärkere Mitarbeiterbindung. Letzteres hat auch wieder finanzielle Auswirkungen, da es sehr teuer ist, neue Mitarbeitenden zu finden. Außerdem bekommen nicht diverse Unternehmen mittelfristig ein Problem, wenn ihr Produktteam nicht ebenso divers ist wie die Kund*innen. Denn ein solches Team ist weniger in der Lage, die Bedürfnisse der Kund*innen zu erkennen.
Hier kommt das Thema Chancengerechtigkeit ins Spiel. Es geht nicht darum, allen die gleichen Ressourcen zur Verfügung zu stellen, sondern darum, zu verstehen, dass jede*r auf unterschiedliche Weise unterstützt werden muss, damit er oder sie das gleiche Ergebnis erzielt. Vielleicht sollte das Unternehmen ein Stillzimmer einrichten, wenn dort Mütter mit kleinen Kindern arbeiten. Vielleicht müssen flexible Arbeitszeiten für Eltern geschaffen werden. Es kann auch bedeuten, dass Führungskräfte bestimmte Personen stärker ermutigen müssen, damit sie ihre Ideen äußern oder vielleicht müssen sie noch einmal aufgreifen, was sie gesagt haben, damit ihre Ideen ihnen auch zugeschrieben werden. Es ist die Aufgabe einer Führungskraft, dafür zu sorgen, dass auch stille Mitarbeitende wichtige Projekte erhalten und damit die Sichtbarkeit, die sie für eine Beförderung brauchen. Es muss nicht unbedingt an mangelndem Ehrgeiz liegen, wenn jemand nicht so oft das Wort ergreift. Es kann eine Frage des Geschlechts, der Kultur oder der Persönlichkeit sein.
Ich persönlich glaube, dass in jedem Menschen etwas Besonderes steckt. Jede:r verdient es, geschätzt, unterstützt und gefördert zu werden. Jede*r sollte die Chance haben, in der Welt erfolgreich zu sein und sein oder ihr Potenzial voll auszuschöpfen. Es ist ungerecht, wenn nicht alle dazu die Unterstützung erhalten, die sie brauchen.