Wiebke Ankersen (SIE/IHR)

Wir müssen besser darin werden, Menschen unabhängig von ihrem Geschlecht zu bewerten und ihre Potenziale zu erkennen. Wir müssen weg von diesen traditionellen Rollenbildern und Erwartungen. Erst wenn wir Männer und Frauen wirklich nach ihren individuellen Fähigkeiten und Leistungen beurteilen, kann es Chancengleichheit geben.
Wer bist du und was machst du?

Mein Name ist Wiebke Ankersen, ich bin promovierte Skandinavistin führe seit 2016 gemeinsam mit meinem Co-Geschäftsführer Christian Berg die AllBright Stiftung mit Sitz in Berlin und Stockholm. Zwei Länder, eine Herausforderung: Mehr Frauen und Vielfalt in den Führungspositionen der Unternehmen. Unser Ziel ist es, gerechte Karrierechancen für Männer und Frauen zu und mit gemischten, modernen Führungsteams bessere Unternehmensergebnisse zu erreichen.

Was bedeutet für dich Diversität?

Unsere Gesellschaft ist schon lange divers; mehr als die Hälfte sind Frauen, mehr als ein Viertel sind Deutsche mit ausländischen Wurzeln, etwa ein Fünftel stammt aus Ostdeutschland. Aber in den Führungs- und Entscheidungspositionen unseres Landes sind sie alle deutlich unterrepräsentiert. Vielfalt haben wir eigentlich schon, was fehlt, ist Chancengleichheit.

Genau das ist es, was unsere Stiftung anstrebt: dass alle die gleiche Möglichkeit haben, zu zeigen, was sie können, und Wirtschaft und Gesellschaft aktiv mitgestalten.

Wenn du eine Sache in Deutschland sofort ändern könntest, was wäre das?

Wenn ich mit einem Fingerschnipsen etwas in Deutschland verändern könnte, wäre es die Erwartungshaltung Männern und Frauen gegenüber. Ich wünsche mir, dass wir gleiche Erwartungen an beide Geschlechter haben, sei es bezüglich ihrer Rollen in der Familie oder in der Arbeitswelt. Es geht darum, das Bewusstsein für diese Ungleichheiten zu schärfen, aktiv an der Veränderung von Denkmustern und Vorurteilen zu arbeiten. Und es ist mir wichtig, dass nicht nur die Erwartungen gleich sind, sondern dass wir sie auch gleich beurteilen. Aktuell gibt es da noch einen deutlichen Unterschied, das ist eines der zentralen Hindernisse auf dem Weg zu unserem Ziel ist: nämlich sicherzustellen, dass alle die gleichen Chancen haben, ihre Fähigkeiten zu entfalten und das zu tun, was sie wirklich möchten.

Warum ist denn gerade die Wirtschaft so homogen und spiegelt nicht den Querschnitt der Bevölkerung wider?

Wir kommen historisch von einer Gesellschaft, die von Männern geführt und geprägt ist. Dies ist in allen Ländern so, aber Deutschland tut sich besonders schwer damit, das zu verändern. In der Wirtschaft geht es noch langsamer voran als in anderen gesellschaftlichen Bereichen – da spielt sicher eine Rolle, dass sie nicht demokratischen Prozessen unterworfen ist. Ein entscheidender Faktor bei den Unternehmen ist die Transparenz. Unternehmen, die an der Börse notiert sind und daher in ihren Entscheidungen und Besetzungen äußerst transparent sein müssen, sind beim Thema Diversität in Führungspositionen schon am weitesten. Sie sind dem öffentlichen Blick und der Kritik ausgesetzt. Familienunternehmen, die viel weniger transparent sind und nicht öffentlich dokumentieren müssen, welche Entscheidungen sie treffen, hinken deutlich hinterher. Dort sprechen weniger Shareholder mit, und wenn die Familie Chancengleichheit als Thema nicht wichtig findet, passiert auf dem Gebiet eben auch nicht viel.

Wie kann sich daran etwas ändern?

Gesellschaftlicher Druck ist der stärkste Hebel, das ist wie bei der Nachhaltigkeit. In Deutschland beginnt gerade erst ein Bewusstsein dafür zu entstehen, dass etwas nicht stimmt, wenn im Jahr 2023 fast nur mittelalte westdeutsche Männer die Entscheidungs- und Führungspositionen besetzen. Obwohl in Deutschland besonders viele besonders gut ausgebildete Frauen arbeiten, erreichen sie nicht die oberen Ebenen. Denn je höher man in den Hierarchieebenen aufsteigt, desto mehr verschwinden die objektivierenden Auswahlkriterien. Stattdessen gewinnt das Bauchgefühl bei Personalentscheidungen an Bedeutung. Man spricht von Persönlichkeit, aber oft wird nach Ähnlichkeit ausgewählt. Der „Thomas“ (das ist der häufigste Name in deutschen Vorständen), wählt instinktiv weitere „Thomasse“ für seine Teams aus, mit denen er sich besonders wohl fühlt und denen er das zutraut, was er selbst kann. Das ist ein menschlicher Mechanismus, der jedoch unterbrochen werden muss, wenn Veränderung gewünscht ist. Wenn man nur nach „Thomas“ Ausschau hält, findet man eben keine „Sabine“ (der häufigste Frauenname). Es bedarf einfach mehr davon, damit sich diese Wahrnehmung ändert und man aus Erfahrung auch Sabine zutraut, was man Thomas zutraut.

Wie geht ihr als Stiftung gegen Mechanismen wie diese vor?

Wir schärfen das öffentliche Bewusstsein. Wir sensibilisieren, legen den Finger in die Wunde und zeigen auf, woran es hapert, warum wir in Deutschland so langsam vorankommen. Wir analysieren die Mechanismen und benennen sie, damit wir konkret sagen können, was zu tun ist. Wir fordern lautstark Veränderungen und setzen uns dafür ein, dass das Thema Diversität auf der Agenda bleibt und zu einer gesellschaftlichen Priorität wird. Dazu überwachen wir Unternehmen und bringen immer wieder Zahlen und Fakten in die Debatte. Die neigt dazu, emotional und dogmatisch geführt zu werden, und wir möchten sie auf eine sachliche und fachliche Grundlage stellen, damit lösungsorientiert darüber gesprochen wird, was eigentlich getan werden muss, um voranzukommen. Wir schulen auch ganz konkret Führungskräfte darin, inklusiver zu führen. Am Ende soll natürlich stehen, dass wir mehr Diversität und mehr Frauen in Führungspositionen haben, und daran messen wir uns.

Du hast gesagt, dass sich Deutschland tendenziell langsamer verändert als in anderen Ländern. Was sind denn die Fortschritte, die ihr in Deutschland seht, seitdem ihr gestartet seid, und wo haben wir noch großen Lern- und Aufholbedarf?

Das öffentliche Bewusstsein für Chancengleichheit, Diversität und Repräsentation beginnt in Deutschland gerade erst, sich zu entwickeln. Im Vergleich zu den angelsächsischen und skandinavischen Ländern sind wir hierzulande noch recht weit zurück, die Debatte wird dort schon sehr viel länger geführt und es ist schon ganz anders in den Köpfen verankert. In Deutschland hört man immer noch häufig, Besetzungen folgten ausschließlich der Qualifikation. Viele, die das sagen, glauben tatsächlich noch, dass das so ist; das Bewusstsein dafür, dass noch viele andere Faktoren eine dabei Rolle spielen, wem wir was zutrauen, bildet sich erst langsam.

Wie sieht es konkret in den deutschen Vorständen aus?

Wir sehen, dass sich bei der Erhöhung des Frauenanteils in Topmanagement-Positionen das Tempo gerade deutlich erhöht hat. Es gibt Fortschritte, da passiert gerade etwas. In den letzten Jahren wurden viele Frauen rekrutiert. Bei unserer letzten Zählung im September 2023 konnten wir feststellen, dass unter den Neurekrutierungen für Vorstände im letzten Jahr immerhin 37 Prozent Frauen waren. Zuvor war vor allem in DAX-Unternehmen Bewegung, aber jetzt sind es auch mittlere und kleine Unternehmen. Das bedeutet, dass sich die Karrieremöglichkeiten für Frauen in den letzten Jahren verbessert haben. Allerdings geben sich viele Unternehmen mit einer einzigen Frau im Vorstand zufrieden. Die Vorstandsteams sind aber teilweise recht groß, eine einzige Frau kann da höchstens der Anfang sein und die Unternehmen dürfen in ihrem Bemühen um mehr Diversität nicht nachlassen.

Misst ihr auch zusätzliche Diversitätskriterien?

Wir monitoren die Zusammensetzung der Vorstände und auch, wie sich die Neurekrutierungen zusammensetzen, ob sich da eine Veränderung abzeichnet. Dabei betrachten wir das Alter, das Geschlecht, die Ausbildung sowie den Ausbildungsort, sei es in Ostdeutschland, Westdeutschland oder im Ausland. Auf diese Weise können wir zum Beispiel feststellen, dass Personen, die in Ostdeutschland sozialisiert wurden, nur etwa drei Prozent der Vorstandspositionen ausmachen. Immerhin sehen wir bei den Neurekrutierungen, dass die Vorstände insgesamt etwas weiblicher und internationaler werden.

Man hört manchmal, dass Frauen ihr Vorstandsamt schnell wieder abgeben. Stimmt dieses Bild in den Medien?

Nein, da gibt es eine ziemlich schiefe Wahrnehmung. Wir haben uns die Daten angesehen, da es im letzten Jahr viele Abgänge von Frauen aus Vorständen gab. Wir haben untersucht, wie viele Männer und wie viele Frauen ihr Vorstandsmandat in weniger als drei Jahren (das übliche Erstmandat) und in weniger als fünf Jahren niederlegten. Tatsächlich haben prozentual mehr Männer die Vorstände vorzeitig verlassen als Frauen. Frauen stehen derart im Rampenlicht, dass jeder Abgang sichtbar und kommentiert wird. Wenn eine Frau geht, wird sie immer als Frau und nicht als Individuum wahrgenommen. Das führt regelmäßig zu Fragen seitens der Medien, warum Frauen scheitern, und das ärgert mich. Frauen scheitern nicht häufiger als Männer. Manchmal gehen sie auch, weil man ihnen nicht erlaubt, das zu tun, wofür man sie geholt hat, oder weil sie anderswo bessere Chancen sehen oder im Ausland aufsteigen. Meine Hoffnung ist, dass diese unangenehme Frage aufhört, wenn hoffentlich irgendwann so viele Frauen in Vorständen vertreten sind, dass man es nicht mehr schafft, sie alle so im Scheinwerferlicht zu behalten.

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