Teddy Tewelde (Er/Ihm)

Mein Hauptziel ist es, meinen Schüler*innen Optimismus und Hoffnung zu vermitteln und ihnen Raum zu geben, um neue Horizonte zu erkunden.
@ Philip Nürnberger

Ein Blick auf Bildung, Integration und Zukunftsperspektiven in Deutschland 

Teddy Tewelde setzt auf Chancengleichheit, lehrt Zukunftskompetenzen und fordert kompetenzbasierte Bildungsbewertung.

Wer bist du und was machst du?

Mein Name ist Teddy Tewelde und gemeinsam mit meinem Partner Fetsum Sebhat leite ich seit 2016 den Verein PxP Embassy e.V (PxP steht für Peace-by-Peace). Unser vorrangiges Ziel besteht darin, jungen Menschen, Kindern und Jugendlichen Perspektiven und Hoffnung zu vermitteln. Dieses Engagement begann vor dem Hintergrund der Flüchtlingskrise zwischen 2014 und 2016. Zu Beginn sahen wir es als eine einmalige Sache an, angetrieben von einem gewissen Aktivismus und unserer persönlichen Geschichte.

Du kamst selbst als Geflüchteter nach Deutschland. Wie erging es dir dabei?

Ich kam in den frühen 80er Jahren als Flüchtlingskind nach Deutschland und hatte das Glück, die Herausforderungen meiner Situation als Kind kaum wahrzunehmen. Ich wuchs im Schwabenland auf und wurde in die deutsche Kultur integriert. Dennoch wurde mir schon früh aufgrund meiner Hautfarbe und meiner Wurzeln in Eritrea vermittelt, dass ich anders war. In einer Gesellschaft wie der deutschen steht die äußere Erscheinung oft im Mittelpunkt, dabei sollten äußere Merkmale nicht so entscheidend sein, wenn es um die Beurteilung von Fähigkeiten und Talenten geht. Ich wurde daher schon in der Schule mit Vorurteilen konfrontiert, später während des Studiums und im Arbeitsleben war es nicht besser. Ich habe die Vorurteile, mit denen mir Menschen begegnet sind, jedoch nie als Nachteil empfunden, sondern eher als Gelegenheit zur Aufklärung und zum Dialog. Mein Ziel ist es, Menschen einander näherzubringen. Ich persönlich empfinde Neugierde als eine natürliche Reaktion auf das Unbekannte, und ich versuche, diese Einstellung auch auf andere zu übertragen. Diese Erfahrungen bilden die Grundlage dafür, wer ich heute bin und wofür ich mich einsetze.

Wenn es eine Sache gibt, die du heute in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Ein Thema, das uns sehr beschäftigt und das wir bereits mit verschiedenen Partner*innen und Organisationen erörtert haben, ist die Abschaffung von Noten. Wir erkennen die Notwendigkeit von Bewertungen, jedoch gehen wir davon aus, dass wir uns von den veralteten und Stress erzeugenden reinen Notenbewertungen hin zu kompetenzbasierten Bewertungssystemen bewegen sollten. Es ist schwer nachvollziehbar, wem reine Noten tatsächlich helfen, sei es Unternehmen oder Hochschulen. Wir führen schließlich Bewerbungsgespräche, um die Menschen hinter den Noten kennenzulernen. Daher könnten wir diese erste Hürde im Bewerbungsprozess, in dem Menschen aufgrund ihrer Noten abgelehnt werden, beseitigen. Denken wir an diese jungen Menschen, die möglicherweise nicht nur Schwierigkeiten beim Schreiben eines Lebenslaufs haben, sondern deren Noten auch wenig aussagekräftig sind. Dies kann sie entmutigen, sich überhaupt zu bewerben. Eine alternative Herangehensweise könnte darin bestehen, die Kompetenzen und Fähigkeiten der Bewerber medialer darzustellen, ohne sich auf Noten zu konzentrieren.

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Was genau macht PxP Embassy?

Mit unserem PxP-Festival 2016 auf der Berliner Waldbühne haben wir dazu aufgerufen, dass Menschen, darunter Künstler*innen, ihre Stimme für junge Menschen im Krieg und auf der Flucht erheben. Unser Ziel war es, von Berlin aus ein starkes weltweites Zeichen zu setzen. Wir wollten betonen, dass wir nicht nur Menschen willkommen heißen, sondern auch zeigen, dass uns das Schicksal derjenigen, die im Mittelmeer sterben, nicht gleichgültig ist.

In der Regel flieht niemand freiwillig. Flucht geschieht oft aus Not, sei es aufgrund von Krieg, Hunger oder Naturkatastrophen. Die meisten Menschen suchen einfach nach einem besseren Leben. Jeder kann in seiner eigenen Familiengeschichte nachsehen und wird wahrscheinlich feststellen, dass es immer Flucht gab und es in Zukunft auch weiterhin geben wird. Manchmal ist es eine freiwillige Bewegung aus wirtschaftlichen Gründen, aber oft geschieht es aus Verzweiflung. 

Rund 23.000 Menschen sind unserem Aufruf gefolgt und das Festival war innerhalb von drei Wochen ausverkauft. Das war ein unerwarteter Erfolg und ein starkes Signal an die Gesellschaft und die Welt. Für uns war es ein Wendepunkt. Wir erkannten, dass es unsere Berufung ist, eine Stimme und ein Gesicht in der Gesellschaft für diejenigen zu sein, die weniger gesehen und gehört werden. Dabei ging es nicht nur um Flüchtlinge, sondern besonders um Kinder. Schnell haben wir erkannt, dass wir uns auf das Thema Bildung konzentrieren müssen, um echte Veränderungen in der Gegenwart und Zukunft herbeizuführen. Bildungschancen sind unserer Meinung nach ein entscheidender Beitrag zur Lebensqualität jedes einzelnen und auf die Zukunftsaussichten einer Gesellschaft.

Wie unterstützt ihr die Bildung von Kindern?

Unsere Vereinstätigkeit konzentriert sich auf die Gestaltung von Programmen in den Ferien und direkt in Schulen, in denen wir jungen Menschen Zukunftskompetenzen vermitteln. Dies umfasst technische Fähigkeiten wie Coding und Robotik sowie entscheidende Fähigkeiten wie Kreativität, Zusammenarbeit und kritisches Denken. Diese Fähigkeiten sind ganz vielseitig einsetzbar und bereiten sie auf die Zukunft vor. Wir haben erkannt, dass es an vielen Schulen an solchen Angeboten einfach mangelt, insbesondere an Schulen in benachteiligten Stadtteilen und wir glauben, dass dies ein großartiger und notwendiger Startschuss für mehr ist.

Einmal die Woche engagiere ich mich an einer Schule in Reinickendorf (Berlin). Mein Hauptziel ist es, meinen Schüler*innen Optimismus und Hoffnung zu vermitteln und ihnen Raum zu geben, um neue Horizonte zu erkunden. Diese Aufgabe mag einfach klingen, ist jedoch in vielen Schulen leider nicht die Norm. In der Regel werden Schüler*innen in der Schule mit Informationen überladen und aufgefordert, diese auswendig zu lernen. Das eigentliche Kennenlernen der jungen Menschen und das Hervorheben ihrer individuellen Stärken kommen dabei häufig viel zu kurz. Besonders an Schulen in sozialen Brennpunkten mit vielen Schüler*innen mit Migrationshintergrund sehe ich die Chance in der Vielfalt kultureller Unterschiede und der Mehrsprachigkeit. Ich versuche den jungen Menschen zu vermitteln, dass diese Vielfalt ein wertvolles Gut ist und keine Einschränkung darstellt. Mein Unterricht zielt auch darauf ab, Einblicke in zukünftige Berufe und Schlüsselkompetenzen zu vermitteln, die auf ihren Alltag und ihre individuellen Herausforderungen zugeschnitten sind.

Wie gehst du dabei vor?

Zunächst stärke ich ihre grundlegenden Fähigkeiten wie Kommunikation und das Geben von Feedback, wobei sie Themen aus ihrem eigenen Leben einbringen. Ein bemerkenswertes Beispiel war, dass etwa ein Drittel meiner Schüler*innen aus der Türkei stammen, jedoch alle kurdischer Herkunft sind. Überraschenderweise wusste niemand in der Klasse etwas über Kurdistan, weder wo es liegt noch was es ist. Daraufhin habe ich sie ermutigt, kurze Vorträge über Kurdistan zu halten. Die Schüler*innen zeigten sich begeistert und motiviert, da sie über ein Thema sprechen konnten, das ihnen am Herzen lag. Auf diese Weise haben sie nicht nur etwas über Kurdistan gelernt, sondern auch, wie eine konstruktive Feedbackkultur funktioniert. Zudem bemühe ich mich darum, Unternehmen in den Unterricht einzubinden. Ich suche Unternehmen, die zukunftsweisende Fähigkeiten und Einblicke in die Arbeitswelt vermitteln können, und versuche, sie in den Unterricht einzuladen. 

Hast du ein Beispiel für eine solche Kooperation mit Unternehmen?

Ein bemerkenswertes Beispiel war der Besuch einer Abteilung eines großen Verlags, die den Schüler*innen die Grundlagen des Programmierens näher brachte. Die Schüler*innen durften das Unternehmen auch besuchen, um die verschiedenen Berufe und die Arbeitswelt kennenzulernen sowie herauszufinden, ob sie sich für einen dieser Berufe interessierten und welche Qualifikationen dafür erforderlich sind. Für viele meiner Schüler*innen, die aus Reinickendorf stammen, war dies die erste Begegnung mit Berlin Mitte. Sie hatten noch nie zuvor diesen Stadtteil besucht oder die Gelegenheit gehabt, ein Unternehmen und dessen Betriebsabläufe aus erster Hand zu erleben. Dies verdeutlichte, wie limitiert ihre Perspektiven bis dahin waren. In der Regel erhalten Kinder bis zur Pubertät Informationen und Inspiration hauptsächlich von ihren Eltern und der Schule. Wenn diese beiden Quellen keine ausreichenden Möglichkeiten bieten, sei es aufgrund mangelnder finanzieller Mittel oder anderer Barrieren, stehen die Schüler*innen vor enormen Hindernissen. 

Es ist erstaunlich, wie einfach es sein kann, diese Situation zu ändern, und zugleich traurig, dass vielen Kindern der Zugang zu einer breiteren Perspektive verwehrt bleibt. Obwohl die Integration von Wirtschaft und Bildung eine komplexe Herausforderung darstellt, begrüße ich sie außerordentlich. Kinder und Jugendliche benötigen einen praxisnahen Einblick in die Arbeitswelt, um Inspiration zum Lernen und zur aktiven Gestaltung ihrer Zukunft zu erhalten. 

Auf der einen Seite benachteiligte Kinder, die ihre Potenziale nicht ausschöpfen können, auf der anderen fehlende Fachkräfte. Wie lässt sich deiner Meinung nach diese Kluft erklären?

In unserer Gesellschaft scheinen sich Barrieren und unsichtbare Grenzen zu formen, die sogenannten „Bubbles“, die eine klare Abgrenzung zwischen „drinnen“ und „draußen“ schaffen. Solche Barrieren dürfen wir weder errichten noch akzeptieren. Sie entstehen nicht durch Natur oder Architektur, sondern in unseren Köpfen. Je weniger direkte Begegnungen stattfinden, desto größer wird diese Kluft – die wir uns jedoch einfach nicht leisten können:

Fast 20 Prozent der jungen Menschen, die Gesamtschulen besuchen, verlassen die Schule ohne Abschluss oder brechen sie ab. Dieses ungenutzte Potenzial fehlt dann auf dem Arbeitsmarkt. Daher müssen wir uns fragen, warum wir sie an dieser Stelle verlieren und was wir dagegen tun können. Ein Schlüsselaspekt ist der Zugang. Viele dieser jungen Menschen wissen nicht, welche Möglichkeiten ihnen offenstehen. Gleichzeitig fehlt eine Kultur des Willkommens, die ihre Talente wertschätzt und fördert.

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Wie könnte eine solche Kultur aussehen?

Die jungen Leute benötigen Unterstützung und Ermutigung, um ihr Potenzial zu erkennen und zu nutzen. In einer globalisierten Arbeitswelt sind vielfältige Fähigkeiten von großem Vorteil, sei es Mehrsprachigkeit oder kulturelle Offenheit. Diese sollten nicht als Nachteile, sondern als Stärken betrachtet werden. Ich sehe hier eine große Chance, nicht nur ein Problem. Die jungen Menschen, die ich in der Schule sehe, sind motiviert und haben den Willen, etwas zu erreichen.

Was fehlt ihnen, um ihr Potenzial auszuschöpfen?

Erstens fehlt oft elterliche Unterstützung, da die Eltern selbst nicht in der Lage sind, ihre Kinder zu motivieren und zu unterstützen. Zweitens dürfen wir nicht erwarten, dass Schulen und Lehrkräfte allein mit diesen Herausforderungen umgehen können. Hier sind die Gesellschaft und Unternehmen gefragt, den Zugang zu erleichtern und Unterstützung anzubieten.

Woran liegt es deiner Meinung nach, dass der Anreiz von zuhause aus häufig nicht gegeben ist?

Dies ist eine recht komplexe Problematik. Auch die Eltern fühlen sich häufig machtlos, was sich negativ auf die Motivation auswirken kann. Besonders bei Erwachsenen, die bereits längere Zeit arbeitslos sind und in den Maßnahmen, an denen sie teilnehmen, keine Aussicht auf Erfolg sehen, kann die Hoffnungslosigkeit überhandnehmen. Diese pessimistische Einstellung übertragen sie häufig auf ihre Kinder. Den Kindern wird gesagt, es sei nicht lohnenswert, es zu versuchen, und sie könnten es ohnehin nicht schaffen. 

Interessanterweise zeigen Menschen, die neu in ein Land kommen, oft eine ganz andere Einstellung. Sie betrachten die Situation eher als Chance und haben den Wunsch, sich zu integrieren, ein Teil der Gesellschaft zu werden und sowohl das Land als auch seine Bewohner*innen kennenzulernen. Wenn diesen Menschen jedoch der Zugang und die Möglichkeiten verwehrt bleiben, sei es aufgrund von Sprachbarrieren oder anderen Hindernissen, wird einer Gruppe, die in den Medien oft präsent ist, eine wichtige Chance verweigert.

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Wie groß ist euer Verein, wirkt ihr nur innerhalb Berlins oder über ganz Deutschland?

Derzeit sind wir hauptsächlich im Raum Berlin aktiv. Allerdings denken wir darüber nach, wie wir unsere Arbeit und unsere Lehrmodule auch digital zugänglich machen können, basierend auf unseren Erfahrungen und bewährten Lehrmethoden. 

 

Unser Ziel ist es, diese Ressourcen in anderen Regionen Deutschlands verfügbar zu machen. Dieser Prozess erfordert Unterstützung, sowohl finanziell als auch in Bezug auf Fachwissen. In der Vergangenheit haben wir in Zusammenarbeit mit der Nothilfe (Unicef) auch international agiert, insbesondere während der Flüchtlingskrise. 

Wir waren in Ländern wie Syrien, Uganda und Somalia tätig. Im Jahr 2024 planen wir ein Bildungsprojekt auf dem afrikanischen Kontinent. Dabei möchten wir eine Brücke schlagen und die Bedeutung des Arbeitsmarktes in Afrika hervorheben, da dort ein hoher Anteil junger Menschen lebt, teilweise mit einem Durchschnittsalter von nur 17 Jahren. Diese demographische Realität erfordert ein Umdenken auf globaler Ebene, und die Qualifizierung dieser jungen Menschen und der Austausch mit Deutschland sind wichtige Aspekte, denen wir uns in Zukunft verstärkt widmen möchten.

Wenn es eine Sache gibt, die du heute in Deutschland ändern könntest, was wäre das?

Ein Thema, das uns sehr beschäftigt und das wir bereits mit verschiedenen Partner*innen und Organisationen erörtert haben, ist die Abschaffung von Noten. Wir erkennen die Notwendigkeit von Bewertungen, jedoch gehen wir davon aus, dass wir uns von den veralteten und Stress erzeugenden reinen Notenbewertungen hin zu kompetenzbasierten Bewertungssystemen bewegen sollten. Es ist schwer nachvollziehbar, wem reine Noten tatsächlich helfen, sei es Unternehmen oder Hochschulen. Wir führen schließlich Bewerbungsgespräche, um die Menschen hinter den Noten kennenzulernen. Daher könnten wir diese erste Hürde im Bewerbungsprozess, in dem Menschen aufgrund ihrer Noten abgelehnt werden, beseitigen. Denken wir an diese jungen Menschen, die möglicherweise nicht nur Schwierigkeiten beim Schreiben eines Lebenslaufs haben, sondern deren Noten auch wenig aussagekräftig sind. Dies kann sie entmutigen, sich überhaupt zu bewerben. Eine alternative Herangehensweise könnte darin bestehen, die Kompetenzen und Fähigkeiten der Bewerber medialer darzustellen, ohne sich auf Noten zu konzentrieren.

Auf der anderen Seite sehen wir bei privilegierten jungen Menschen Herausforderungen hinsichtlich ihrer Selbstständigkeit, da sie oft überbehütet wurden. Die Internationalität mag gegeben sein, aber sie besteht nicht nur aus der Beherrschung einer Fremdsprache, sondern aus der Erfahrung und dem Umgang mit verschiedenen Kulturen im Alltag. Wenn junge Menschen bereits im Alltag solche interkulturellen Erfahrungen gemacht haben, sind sie besser auf die Anforderungen der modernen Arbeitswelt vorbereitet.

Es ist nicht so schwierig, diesen Wandel herbeizuführen. Die Zeiten ändern sich bereits und wir sehen positive Entwicklungen in der Gesellschaft, auch auf politischer Ebene. Der Druck auf den Arbeitsmarkt zwingt uns, unsere Bildungssysteme anzupassen. Jetzt ist ein günstiger Zeitpunkt für Veränderungen, und es scheint, dass viele Kräfte sich bündeln, um gemeinsam langfristige Veränderungen in der Bildung zu bewirken und mehr Aufmerksamkeit auf dieses wichtige Thema zu lenken.

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